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Das Huhn als Speise der Völker

Buchmessern (3): Nicht nur der Suhrkamp Verlag bemüht sich in Frankfurt, mit weihevollem Tonfall ein Gefühlder engeren Zusammengehörigkeit zu beschwören. Von Kochbüchern, Fingerklingeln und anderen Kleinigkeiten

Der „Book Fair Shop“ hält nützliche Dinge bereit. Neben einer Leselampe mit Klappmechanismus und Batteriebetrieb auch die „Fingerklingel“: eine Fahrradklingel, die man sich an den Zeigefinger schnallen kann und mit deren Hilfe man sich seinen Weg durch überfüllte Flure, Rolltreppen und Ausstellungshallen der Buchmesse bahnen kann.

Eilig haben es alle. Ein gehetzter Gesichtsausdruck gehört zur professionellen Erscheinung genauso wie die dicht bedruckten Blätter, die man anstelle eines Terminkalenders mit sich herumträgt. Eine Insel der Ruhe ist da die Preisverleihung des „Literarischen Wettbewerbs“ der Gastronomischen Akademie. Deren Präsident Friedwolf Liebold schwärmt in einem weihevollen Ton von dem „Gefühl der Zusammengehörigkeit“, das die Gastronomen mit den Autoren und Verlegern von Kochbüchern verbindet. Anschließend wird eine Liste von Preisträgern verlesen, darunter auch Heinrich Fischer, der mit seiner Schrift „Die Garniertüte“ neue Standards zu setzen weiß, und der Augustus Verlag, der Clare Fergusons Epoche machendes Werk „Chicken“ den deutschsprachigen Lesern zugängig machte: „Unprätentiös und glaubwürdig“, so die Jury, „wird das Huhn als Speise aller Völker präsentiert.“

Kaum jemand verlässt diese nach großen Worten und warmem Büfett duftende Wolke gerne, um sich unter dem Einsatz der Fingerklingel wieder in den Messealltag zu stürzen – und entlang der Glasvitrinen, in denen die engagierte Edition Reuss auf ihre Veröffentlichungen „Shaven Angels“ und „Russian Lolita“ nebst ihrem Stand in Halle 4.1 aufmerksam macht, zu einem Geschäftstermin zu hetzen. Glücklich ist, wer eine der Einladungen zum „Kritikerempfang“ des Suhrkamp Verlages in seiner Tasche weiß. Er darf sich am späten Nachmittag im Verlagsgebäude in einer der schöneren Straßen Frankfurts einfinden. Während dieser Empfang, zu dem der etwas engere Kreis des Literaturbetriebes eingeladen ist, ansonsten in der Villa des Verlagschefs Siegfried Unseld stattfand, wurde in diesem Jahr der Veranstaltungsort kurzfristig verlegt: wegen Unselds angegriffener Gesundheit.

Nun sind über den Gesundheitszustand des 78-jährigen Verlegers die verschiedensten Gerüchte in Umlauf. In einem weihevollen Ton, den sonst nur Präsident Liebold von der Gastronomischen Akademie so sicher zu finden weiß, verkündete jetzt Unselds Frau Ulla Berkéwicz die offizielle Version: ein Herzfehler von Geburt an, vor kurzem ein Infarkt, eine Operation und ein Kunstfehler. Aber: „Meinem Mann geht es besser“, auch wenn er in diesem Jahr die Buchmesse ausfallen lassen muss. Denn: Siegfried Unseld nimmt sich „zum ersten Mal in seinem Leben Zeit für sich selbst“.

Breaking news. Die einbestellten Kritiker, Verleger und Schriftsteller empfangen diese Nachricht mit gesenktem Blick und schämen sich der bösen Worte, die sie in den letzten Monaten über den Verlag verloren haben. „Wir stehen zu unseren Autoren“, schließt der Verlagsleiter Günter Berg mit strengem Blick zuletzt auch noch die Akte Walser. Bei Laugenbrötchen und Rotwein stellt sich schließlich im Hause Suhrkamp das große Gefühl der Zusammengehörigkeit ein, das durch Feuilletondebatten nicht zerstört und von einem schlechten Gewissen nur gestärkt werden kann.

KOLJA MENSING

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