: Die ganz großen Formate
Kunstzentrifuge der Moderne: Nach zehn Jahren Planungs- und Bauzeit eröffnet in München die Pinakothek der Moderne, ein Metamuseum für Kunst, Architektur und Design des 20. Jahrhunderts
von IRA MAZZONI
Andere Städte bauen Museen – München baut seit König Ludwig I. gravitätische „Pinakotheken“. Die gerade pompös eröffnete Pinakothek der Moderne ist zwar viel mehr als ein Bilderschrein, aber: Tradition verpflichtet, selbst wenn die pathetisch altgriechische Bezeichnung im krassen Widerspruch zu den Inhalten steht, die ihr Dasein im Wesentlichen der Revolte gegen das Alte verdanken.
Ganz selbstverständlich komplettiert der Neubau den königlichen Stadtplan, der der Kunst 1826 ein weites Feld eröffnete. Der noble Backsteinbau Leo von Klenzes ist und bleibt Maßstab: städtebaulich, architektonisch und qualitativ. So ordnet sich das neue Metamuseum von Architekt Stephan von Braunfels der schräg gegenüberliegenden Galerie der alten Meister unter und trumpft doch auf: mit einer diagonalen Passage, die vom ehemaligen Haupteingang des Alten Museums hinüberleiten soll zur Altstadt, gäbe es da nicht eine sechsspurige Tunnelzufahrt. Insofern fordert der Neubau nichts weniger als eine groß angelegte Stadtreparatur. Erst dann würde die neueste Pinakothek ihre städtebauliche Erfüllung finden.
Bei aller Zurückhaltung – Braunfels bedient sich aller Pathosformeln der Zunft: mit einem haushohen Säulengang, mit Treppenhäusern, die sich dynamisch zu den Sammlungsräumen weiten und der entwurfsbestimmenden Diagonalen Dramatik verleihen. Da kommt die berühmte Treppenschlucht, die Döllgast in die kriegszerstörte Alte Pinakothek einzog, nicht mehr mit. Die zweigeschossige, fast 25 Meter hohe Rotunde mit ihrer Lichtkuppel ist Sonnentempel und Schattentheater zugleich. Ein Festsaal für den eintretenden Besucher, der durch nichts betört außer durch Licht. Alle Einbauten halten sich streng zurück. In der Rotunde feiert sich die Architektur selbst, feiert ihre Weiträumigkeit, ihre Dynamik, ihre vielfältigen Perspektiven.
Braunfels kennt sich aus in der Geschichte des Museumsbaus: Nicht nur Klenze stand Pate, sondern auch Schinkel. Es gibt offensichtliche Anleihen bei Axel Schultes’ Bonner Kunstmuseum, aber auch die berühmte Spirale im Guggenheim Museum mag Vorbild gewesen sein: Die dritte Pinakothek will sich mit den großen Institutionen der Welt messen.
Die Besucher sind bereits überwältigt, wenn sie im Lichtdom stehen, sie sind bereits erschöpft, wenn sie die sich weit auffächernden Stufen erklommen haben, und dann irritiert und schockiert. Denn die imperiale Treppenanlage wird von einem grellbunten Plastikderwisch von Olaf Metzel dominiert, der vielleicht kommende Modedefilees ankündigen soll. Abgefangen wird der Blick dann von Warhols wandfüllendem „Oxidation Painting“, das daran erinnert, dass jede Provokation der Moderne irgendwann museal harmonisiert wird. Hinter dieser Wand aber lauert der Schock des Aktuellen: Bretter, Müll und Videos einer spielerisch brutalen (Kinder?-)Welt. Mit Arbeiten von John Bock und einer Lichtinstallation von Michel Majerus „The Starting Line“ wagen die Staatsgemäldesammlungen den Sprung ins Hier und Jetzt.
Wer die Expressionisten und die klassischen Modernen sucht, für die die Sammlung bekannt ist, wird sie auf der anderen Seite der Rotunde finden. Ein schlichter, gerader Treppenzug führt zum historischen Anfang. Wie befreit wirken die Bilder, die über Jahrzehnte ausgerechnet im ehemaligen „Haus der deutschen Kunst“ untergekommen waren. In dem schattenlos gleichmäßig gestreuten Tageslicht der neuen Ausstellungsräume entfalten die „Entarteten“ eine nie gesehene Leuchtkraft. Die Hängung gibt den Bildern Raum, auch zu viel Raum. Wenn ein kleiner Feininger eine ganze Wand für sich beanspruchen darf, ist das purer Luxus. Ein Luxus, der allerdings dem benachbarten Schlemmer einen grandiosen Auftritt verschafft. Einzelne Bilder wirken auf der schneeweißen Wand verloren und wie ausgestanzt. Ruhe! Konzentration! Kontemplation! Die Intention der Kuratoren ist wie ein mahnender Zeigefinger zu spüren.
Nicht immer mag der Dialog so gelingen wie in dem brillanten Beckmann-Saal oder in dem überraschend qualitätsvollen Picasso-Raum. Völlig isoliert erscheint die Installation „Ende des 20. Jahrhunderts“, die Beuys 1984 eigenhändig am Ende des Rundgangs im Haus der Kunst platziert hatte. Sie wirkt nur mehr skulptural schön. In den Künstlersälen von Arnulf Rainer, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Cy Twombly, Georg Baselitz und Andy Wahrhol merkt man: Das Museum ist eins für ganz große Formate.
Zurück in die Rotunde und den Treppentrichter hinab zur eigentlichen Sensation des Metahauses: Erstmals in ihrer 75-jährigen Geschichte kann die Neue Sammlung zeigen, dass sie tatsächlich ein Weltmuseum für Industrial Design ist. Spektakulär die Präsentation der schönen Warenwelt, die auf Paternostern aus dem Keller ins Foyer gehoben werden. Effekthaschend das schwarze Flugmodell von Colani, das wie ein Archäopteryx über die Stufen gleitet. Was am Anfang etwas marktschreierisch daherkommt, beruhigt sich dann ganz schnell zu einer sachlichen, gut ausgeleuchteten Design-Revue: erst aerodynamische Autos, dann ergonomische Computer, danach die täglichen Dinge des schönen Wohnens und ein Thonet-Theater. Selbst wer sich bei Design-Klassikern auskennt, wird auf den 3.000 Quadratmetern zum Entdecker.
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