: Arbeitslos? Mach was draus!
Vollbeschäftigung wird es so bald nicht mehr geben. Für immer mehr Menschen geht es in die Arbeitslosigkeit. Jetzt heißt es umdenken: Ohne Arbeit zu sein, ist nicht das eigentliche Problem, sondern die daraus resultierende Geldlosigkeit
von HELMUT HÖGE
Wenn es Arbeit auf Lose gäbe – wäre das dann ein Gewinn oder eine Niete? Für meinen Freund Michael, ein Historiker, der noch nie in seinem Leben eine feste Arbeitsstelle hatte, wäre dies ein bitteres Los. Aber die meisten Deutschen sähen das wahrscheinlich anders. „Statt in den Zeiten der Krise eine Verteilung der Produkte und allgemeine Belustigung zu verlangen, rennen sich die Arbeiter vor den Türen der Fabriken die Köpfe ein“, schimpfte Paul Lafargue, Autor des „Rechts auf Faulheit“, schon 1887.
Vor einigen Jahren meinte dann sogar der ehemals antikapitalistische Gerhard Schröder, als Kanzler hierbei gegensteuern zu müssen – indem er die „Faulheit“ im Volk, insbesondere in dessen arbeitslosen Teil, anprangerte. In dieser verfahrenen Situation, die sich seit dem so genannten Zusammenbruch des Sozialismus, dem Privatisierungswahn und dem Börsencrash immer mehr „zuspitzt“, wie man in der Linken zu sagen pflegt, lag ein Kongress über „Das Recht auf Faulheit“ nahe.
Der Ostberliner Event-Klopper „Volksbühne“ veranstaltete ihn schließlich – zusammen mit den „Glücklichen Arbeitslosen“. Anschließend erläuterte die Ostberliner Arbeitslosengruppe ihre Thesen in diversen Zeitschriften.
Und nun hat der Vordenker der „Glücklichen Arbeitslosen“, Guillaume Paoli, alle ihre bisherigen „Aufrufe, Manifeste und Faulheitspapiere“ zu einem eigenen Buch zusammengestellt – unter dem programmatischen Titel: „Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche“. Und damit sind wir schon bei dem zentralen Gedanken der „Glücklichen Arbeitslosen“: Es geht ihnen bei all ihren (wenigen) Aktivitäten darum, dass nicht die Arbeitslosigkeit das Problem ist, sondern die Geldlosigkeit, dass also die Arbeitslosen, deren Zahl sich täglich vermehrt, glücklich sein könnten, wenn man sie nur in Ruhe ließe – das heißt, ihnen bloß regelmäßig Unterstützung zahlen würde und ansonsten auf die Selbstheilungskräfte der durch plötzliche Überflüssigkeit Gedemütigten hoffte.
Sofort stößt einem dabei der Einwand auf: Wer soll denn das bezahlen – wenn das alle (Arbeitslosen) täten?! Im Ergebnis landet man dann meistens bei der Diskussion über ein Grundeinkommen für jeden, was summa summarum eine irre Geldmenge ausmacht!
Mit solchen Rechnereien hat man aber das Neue an dem einen und einzigen Gedanken der „Glücklichen Arbeitslosen“ verfehlt, von dem der ehemalige Bundesgeschäftsführer der SPD behauptet, dass er an allen Ecken und Enden „um sich greift – wie ein Ölfleck“. Peter Glotz sieht dahinter eine Art „neuen Bund der Kommunisten“ am Werk.
Guillaume Paoli beteuert jedoch: „Es gibt keine Gruppe, keinen Verein, keine Organisation. Es ist eine Idee, die von anderen Menschen aufgegriffen wurde. Jeder weiß, dass die Vollbeschäftigung nicht mehr kommt. Trotzdem wird sie von allen Parteien immer wieder beschworen. Mit dieser Heuchelei wollen wir aufhören.“
Und das ist der Punkt: das Ende der Lügen! Immer wieder verkünden die „Glücklichen Arbeitslosen“ bloß das eine, dass sie zufrieden mit ihrem Leben sind – man solle sie nur nicht weiter behelligen (mit idotischen Jobangeboten in Callcentern zum Beispiel oder mit Zwangseinsätzen beim Deichbau auf ABM-Basis). Und gleichzeitig kündigen sie damit einen Gesellschaftsvertrag, der darin besteht, dass man zwar als Arbeitsloser über einen begrenzten Zeitraum „vom sozialen Netz aufgefangen“ wird, dass man darüber aber unglücklich zu sein hat, weil man lieber hart arbeiten würde – notfalls sogar für weniger Geld.
Was die „Glücklichen Arbeitslosen“ von der „Deutschland AG“ fordern, ist, dass die Differenz zwischen privatem und öffentlichem Verhalten endlich als heuchlerisch abgetan wird. Natürlich will das Arbeitsamt, dass ihre Leistungsbezieher alle glücklich sind, mindestens zufrieden mit der „Stütze“ aus Nürnberg und den Beihilfen des Sozialamts, aber sie dürfen das auf keinen Fall in eine laufende Kamera sagen.
Der Ostberliner Transformationsforscher Wolfgang Engler hat jetzt die Arbeitslosen im Osten – die dort etwa die Hälfte aller Erwerbsfähigen ausmachen – sogar in toto als „Avantgarde“ bezeichnet, weil ihr zuvor kollektiv erworbener „sozialer Sinn“ ihnen jetzt – mitten „in der Krise der Arbeitsgesellschaft“ – die Nichtbeschäftigung „objektiv erträglich“ mache. Bewirkt haben diesen Durchbruch „die Regierenden und ökonomisch Mächtigen“ (Wessis), indem sie „bewiesen, natürlich ohne es zu wollen, dass der Abschied von der Arbeitsgesellschaft möglich ist“.
Und damit wären dann die Ossis neben den „Glücklichen Arbeitslosen“ noch ein weiterer – viel aktiverer – „Ölfleck, der sich ausbreitet“. Aber weil wir – mit den „Glücklichen Arbeitslosen“ – privates Verhalten öffentlich machen wollen, gewinnt man nichts, wenn man „einige Tätigkeiten als Arbeit begreift und andere nicht. Die haben alle ihren Sinn. Selbst der Mittagsschlaf.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen