piwik no script img

Heimat und hier

Ute Baduras Dokumentarfilm „Schlesiens Wilder Westen“ über das kleine Dorf Kopaniec, das früher Seifershau hieß

„Ich habe erst mal Polnisch gelernt, denn ich bin ja nicht hierher gekommen, um die Geschichte wieder zurückzudrehen“, sagt der junge Deutsche, der sich in Kopaniec niedergelassen hat. „Die im Westen nannten uns Polacken, weil wir vom Osten waren. Die wussten ja noch nicht einmal, wo Schlesien liegt“, sagt die ältere Deutsche, die vor mehr als fünfzig Jahren aus Seifershau vertrieben wurde. Und schließlich: „Ich kann besser an einem Ort leben, dessen Geschichte ich kenne“, sagt der junge Pole, der aus Kopaniec stammt. Der Dokumentarfilm „Schlesiens Wilder Westen“ von Ute Badura geht dieser Geschichte des Ortes Kopaniec nach – der Geschichte eines Ortes, die eigentlich die Geschichte zweier Orte ist: Kopaniec, Niederschlesien, Polen. Ein kleines bäuerliches Dorf vor der Kulisse des Riesengebirges. Der Boden dort ist nicht sehr gut. Man arbeitet hart in Kopaniec.

Seifershau, Niederschlesien, Deutsches Reich. Auf den verblassten Fotografien erkennt man die sanften Hügel, die Tische vor dem Café Rosengarten, fest gemauerte Bauernhäuser und einige Menschen und Pferde auf dem Hof. Auch in Seifershau hat man hart gearbeitet, damals, als es Seifershau noch gab.

Seifershau heißt heute Kopaniec. Die ehemaligen deutschen Bewohner des Ortes sind 1946 vertrieben worden, schon seit 1945 hatten sich Polen dort angesiedelt. Die meisten unter ihnen waren selbst Vertriebene: sie stammten aus der heutigen Ukraine, aus der Gegend von Lemberg, die vor dem Krieg zu Polen gehört hatte. Die Geschichte von Kopaniec in Niederschlesien, so wie Ute Badura sie erzählt, ist deshalb die Geschichte einer doppelten Vertreibung. Das Dorf steht im Mittelpunkt des Films, es ist das Bindeglied zwischen den alten Bewohnern und den neuen.

Die alten Bewohner sind 1946 gegangen, in der Hoffnung, bald oder wenigstens irgendwann zurückkehren zu können. Als sie dann tatsächlich zurückkonnten, kamen sie in Reisebussen an einen Ort, der in ihrer Erinnerung im Laufe der Jahre immer schöner geworden war und den sie häufig nur schwer in Kopaniec wiedererkannten. Die neuen Bewohner haben in „Schlesiens Wildem Westen“ zunächst oft noch eine Weile mit den Deutschen zusammengelebt, ehe diese vertrieben wurden. Sie bauten sich dort eine neue Existenz auf, ohne jemals die Angst zu verlieren, dass die Deutschen eines Tages zurückkommen und sie selbst aufs Neue vertrieben würden.

Ute Badura blendet die Geschichten der neuen und der alten Bewohner von Kopaniec ineinander: Abwechselnd erzählen Polen und Deutsche, immer wieder werden alte Bilder hervorgekramt und mit den neuen verglichen. Keine Version der Geschichten ist „richtiger“ als eine andere. Während erzählt wird, wechseln die Jahreszeiten in Kopaniec, an frostigen Wintertagen blicken die Erzählenden aus den beschlagenen Fenstern ihrer Häuser, an lauen Sommerabenden werden beim Erzählen die Kühe in den Stall getrieben.

Seit den Siebzigerjahren kommen immer wieder Besucher aus Deutschland nach Kopaniec – nach Hause oder in die Heimat, sagen die Reisenden. „Es war so schön … immer Sommergäste und ein Stall voll Kühe“, erinnert sich eine der Deutschen mit Tränen in den Augen, und eine andere nimmt Heimaterde mit, um sie im Schwarzwald ihrer Mutter aufs Grab zu legen. Wenn man als Zuschauer davon ein wenig seltsam berührt ist, dann liegt das vielleicht daran, dass auf Seiten der Polen Worte wie das von der Heimat nicht fallen. Sie sprechen von „hier“, wenn sie Kopaniec meinen, und von „dort“, wenn sie ihr altes Zuhause in Ostpolen meinen, und wahrscheinlich durften sie zur Zeit der Sowjetunion der verlorenen Heimat mit der guten Erde auch gar nicht so offen nachtrauern, wie die Deutschen es taten. Trotzdem hat man sich an die Reisegruppen gewöhnt – „als Kinder, wenn wir mutig waren, haben wir ihnen nachgerufen ‚Hitler kaputt, Hitler kaputt!‘ “, erzählt eine junge Polin. Heute fahren stattdessen zwei Kinder aus Kopaniec immer wieder mit dem Fahrrad durchs Bild, bis sie zum Schluss auf einer kleinen Anhöhe ihre Räder ins Gras legen und hinuntersehen. „Wir kennen ganz Kopaniec“, sagt der eine Junge.

ANNE KRAUME

„Schlesiens Wilder Westen“. Regie: Ute Badura, Deutschland 2002, 98 Min. Am Freitag, 17.30 Uhr in Anwesenheit der Regisseurin in den Hackeschen Höfen, Mitte, und am Samstag, 19.30 Uhr in Anwesenheit der Regisseurin in der Filmbühne am Steinplatz, Hardenbergstr. 12, Charlottenburg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen