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orte mit basketball (folge 2)HENNING HARNISCH über Korbsport in Oldenburg

Rad fahren mit Kuschelpullover

„Oldenburg, Einkaufszentrum zwischen Weser und Ems, die Stadt mit der ersten Fußgängerzone Deutschlands. Beamten- und Verwaltungsstadt; mit Uni. Radfahrer. Oldenburg, die lebenswerteste respektive familienfreundlichste Stadt Deutschlands. So sagen zumindest einige Umfragen. Nette, einfache, unkomplizierte Menschen.“

„The Voice“ spricht zu mir am Telefon, Andreas Witte, gebürtiger Oldenburger und Sportreporter, der Mann mit der Stimme aus einem Hörspiel und dem Wissen. Jetzt pausiert mein Informant (geht er seiner Arbeit nach, dreht er sich eine Zigarette für die Stimmbänder?) – „und essen geht ihr am besten in der Gaststätte Steffmann, dort gibt es den besten Grünkohl mit Pinkel.“ Und dann knarrt es ein letztes Mal gefällig in den Hörer: „Aber, was willst du da eigentlich, in Oldenburg?“

EWE Baskets Oldenburg, wie der Verein seit einem Jahr heißt, hat gerade das „Spitzenspiel“ der Basketball-Bundesliga gegen Braunschweig verloren. Es war ein knappes Spiel zweier Mannschaften, die noch weit vorne in der Tabelle stehen. Es ist früh in der Saison und der letzte Spieltag vor der Nationalmannschaftspause. Vorher hatten wir gerätselt, ob es denn, wie beim Fußball, im Basketball möglich sei, als schlechtere Mannschaft ein Spiel zu gewinnen. Es ist möglich, ahne ich, denn Oldenburg hatte seine Chancen am Ende, obwohl Braunschweig – das Gros des Teams ist seit letzter Saison zusammen – kultivierter und cleverer wirkte, so banal es klingen mag: den einen Pass mehr zum freien Mann suchte. Vielleicht war es aber nur Tagesform, denn Oldenburg hat durchaus Spieler mit Qualität.

Wir stehen im Foyer der vereinseigenen Sporthalle Haarenesch, in einer dieser Turnhallen, die in jeder Stadt zu finden ist, und die hier mitten in einer netten, von Jugendstil dominierten Wohngegend liegt. Oldenburg war traditionell, wenn es denn so etwas im deutschen Basketball gibt, eine typische Zweitligastadt, mit Spielern aus der Gegend oder Spielern, die dorthin zum Studieren gegangen und geblieben sind. Zweimal ist man in den 80er-Jahren aufgestiegen, aber eigentlich war man zweite Liga, immer; und zwar, wie ich sagen würde, mit Charme, denn nahmen sie diese Rolle nicht angenehm selbstbewusst ein?

Bis zum Jahr 2000, denn seitdem ist man fest dabei, in der BBL. 2004 soll die neue Halle fertig sein, bis dahin wird man hier also weiter improvisieren müssen. Vor der Halle etwa, wo die Anwohner stets etwas zu kritteln haben. Oder im unprätentiösen VIP-Bereich, in dem fast alle kuschelige Pullover tragen, und alles, Einrichtung inklusive, zu sagen scheint: Dieser Verein wird sauber finanziert. Oder schließlich in der dauerausverkauften Halle, in der sich 1.800 Zuschauer, die vom Rad fahren eine Pause machen, wahlweise familiär auf einer Tribüne tummeln oder sich, wie beim Clubkonzert einer aufstrebenden Band, auf den Stehplätzen hinter den Körben zusammenquetschen.

Ich fühle mich norddeutsch. Wir sind noch immer im sich langsam leerenden Foyerbereich der Halle. Pokale und Mannschaftsfotos hinter Vitrinen zeugen von Geschichtssinn, wollen aber beileibe nicht angeben.

Aber was soll ich sie auch fragen, die beiden, mit denen ich es austrudeln lasse, den ehemaligen Zweitligahelden Holger Smit, der selbst vorher ein Spiel mit der dritten Herren hatte und morgen in der zweiten aushelfen soll, und den Jugendtrainer und Filmfestivalaktivisten, der auf einen Namen hört, der jeden Basketballer glücklich machen würde: Mark Gyampoh? Über ihre Mannschaft, die so gut wie der Etat ist, schweigen sie sich zumindest aus. Keine Frage, Oldenburg wird, wenn alle gesund bleiben, die Play-offs schaffen. Nur, junge Spieler, die jetzt schon der geplanten neuen Halle ein Gesicht geben würden, die gibt es (noch) nicht, hier in Oldenburg.

Wäre das nicht was, frage ich mich und denke einen Augenblick darüber nach, wie es denn wohl wäre, in Oldenburg zu wohnen, kollektiv Rad zu fahren, am Wochenende an die Küste, abends zum Basketball und danach Grünkohl mit Pinkel?

Ich frage Holger, die Legende, der wie üblich mit seiner Familie hier ist, ob er Rad fahren würde. Nie, sagt er, niemals, nicht mal zum Brötchen holen oder zum Briefkasten, nicht hier in Oldenburg.

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