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Zweifle nicht, staune lieber!

Monika Bröcker redet mit Heinz von Foerster über fraktale Ethik: der Gesprächsband „Teil der Welt“

von DIRK BAECKER

Nun ist es also ein Vermächtnis geworden. Monika Bröcker hat in jahrelanger Arbeit aus Gesprächen mit dem am 2. Oktober verstorbenen Kybernetiker Heinz von Foerster ein Buch zusammengestellt – und zu einer faszinierenden Autobiografie nicht nur dieses großen Menschen gemacht, sondern auch einer Philosophie im Prozess ihrer Entstehung. Wer eine Ahnung davon bekommen will, wie sich die Desaster des 20. Jahrhunderts in der Entwicklung dieses Denkens spiegeln, sollte sich in die Lektüre vertiefen.

„Teil der Welt“, im Titel des Buches besteht zugleich die wichtigste Botschaft dieses Lebens und dieser Philosophie. Du hast die Wahl, entweder die Welt so zu betrachten, als könntest du sie von außen beobachten und als hätte sie nichts mit dir zu tun. Oder aber einzusehen, dass schon diese Betrachtung ein Teil der Welt ist, wie du ein Teil der Welt bist, und zu begreifen, dass dein Handeln in der Welt diese Welt zu deiner Welt macht und dich zu einem Teil der Welt macht.

So pathetisch muss man es formulieren. Und so pathetisch kann man es nur formulieren, wenn man wie der gebürtige Wiener Heinz von Foerster erleben musste, dass das Leugnen dieser Tatsache, Teil der Welt zu sein, mitverantwortlich für das Desaster des 20. Jahrhunderts ist. Heinz von Foerster spricht übrigens niemals von diesem Desaster. Stattdessen erzählt er, wie er zum Kriegsende als Physiker in Berlin der Roten Armee auf einem Fahrrad und den Nazis mit dem Marschbefehl entkommen ist, die kostbare Laborausstattung zu retten. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren arbeitet er schließlich im sagenumwobenen Biological Computer Laboratory in Illinois, USA, im Zentrum der Entwicklung einer neuen Wissenschaft: der Kybernetik.

Monika Bröckers hat nicht nur eine unendliche Anzahl von Gesprächen mit von Foerster auf Band aufgenommen, transkribiert und sortiert. Sie lässt zudem nicht locker mit der Frage danach, ob und wie man die Philosophie, die Heinz von Foerster sein Leben lang entwickelt hat, nicht auch für die Frage nach einer möglichen Ethik nutzen könne – Ethik verstanden als Lehre, wie man sein Leben zu führen habe.

Heinz von Foersters Weigerung, diese Frage zu beantworten, ist in Wahrheit bereits ein Teil der Antwort. Seine Ethik, so beruft sich von Foerster auf Ludwig Wittgenstein, sei strikt und ausschließlich implizit. Sie werde nicht gesprochen, sondern gelebt. Sie ziele nicht darauf, andere auf ein bestimmtes Verhalten zu verpflichten, sondern darauf, sich selbst für sein Leben verantwortlich zu machen.

Davon handelt dieses Buch – mit Witz noch in aussichtslosen Lagen, mit stupender Energie, mit großem Einfallsreichtum, mit einer bewundernswerten, geradezu strategischen Naivität bezüglich der üblen Absichten anderer. Zahllos die Verweise darauf, dass man es nicht nur mit einer bewundernswerten Kombination von Wiener Charme, Mutterwitz und Intelligenz zu tun hat. Sondern auch mit einem wissenschaftlichen Denken, das nicht aufhört, unsere akademischen Experten- und Gelehrtenkulturen zu beunruhigen.

Die beiden Autoren haben sich für eine fraktale Darstellung der Ethik entschieden. Sie wird nicht kategorisch expliziert, sondern ist das „selbstähnliche“ (fraktale) Strukturmoment, das sowohl das Leben als auch das Denken Heinz von Foersters durchzieht. Es kennzeichnet die Art seiner wissenschaftlichen Fragestellungen ebenso wie die Art seiner Auseinandersetzung mit Kollegen und jede einzelne alltägliche Handlung. Nichts ist dem Kybernetiker fremder, als eine scharfe Trennung zwischen Leben und Wissenschaft zu ziehen. Diese Wissenschaft ist das Gegenteil „systemischen“ Denkens, der Kunst, die Dinge wieder zu vereinigen.

Das Prinzip der Selbstähnlichkeit wendet sich gegen unseren so beliebten Gedanken, dass die Welt hierarchisch geordnet ist und dass man auf den höheren Ebenen für gut halten kann, worum man sich auf den unteren Ebenen nicht zu scheren braucht. Oder umgekehrt, dass es in keiner Weise darauf ankommt, was man heute und jetzt macht, weil alle anderen insgesamt sowieso etwas anderes tun. Selbstähnlichkeit heißt, dass ich mit der Art und Weise, wie ich rede und handle, den Kosmos zu dem mache, was er ist; wie auch umgekehrt, dass ich an mir, an meinen Wünschen, Zwängen und Lüsten, studieren kann, wie dieser Kosmos gebaut ist. Hier wie dort stehe ich vor der Notwendigkeit und damit Möglichkeit von Entscheidungen. Eine in keiner Weise beneidenswerte Lage und doch die einzige, in der wir uns letztlich (auch gegenseitig) ertragen können.

Zweifle nicht, staune lieber, empfiehlt Heinz von Foerster seinen Lesern. Und versuche so zu handeln, dass der Lohn der Handlung weder in einem Jenseits noch in einem Diesseits, sondern in der Handlung selber liegt.

Heinz von Foerster und Monika Bröcker: „Teil der Welt. Fraktale einer Ethik“. Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg 2002, 368 Seiten, 38 €

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