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Sag niemals nie

John Updike hat mit „Rabbit, eine Rückkehr“ doch noch eine Fortsetzung seiner amerikanischen Saga geschrieben

Das hat sich Harry „Rabbit“ Angström selbst in den glücklichsten Phasen seines kurzen 56-jährigen Lebens nicht zu erträumen gewagt: dass er zehn Jahre nach seinem Tod noch gehörige Unruhe in seiner Familie zu verbreiten vermag. Als „Kind der Liebe“ aber hat er vorgesorgt: Eines Tages taucht mit Annabelle eine uneheliche Tochter von ihm bei seiner wieder neu verheirateten Frau Janice auf. Annabelle will nichts Besonderes, weder Geld noch ausgeprägte menschliche Zuwendungen, nur mal „Hallo“ sagen. Klar, dass Janice misstrauisch wird und gar nicht erfreut ist über diese „Abgesandte aus dem Grabe“. Ihr schwant, dass ihr inzwischen schön beschauliches Leben in leichte Turbulenzen geraten könnte.

Im Gegensatz zu Janice dürfte die Rabbit-Gemeinde hoch erfreut darüber sein, dass John Updike es nicht lassen konnte, seine 1990 mit dem vierten Band „Rabbit in Ruhe“ und dem Herztod seines Helden eigentlich abgeschlossene Saga weiterzuerzählen. So sehr Rabbit ein Allerweltsmensch gewesen sein mochte, ein weißes amerikanisches Kleinbürgerarschloch, so war er doch eine coole Sau: nie zufrieden mit dem engen, kleinen Leben, das er führte, dann wieder zu schlapp und ambitionslos, um es wirklich zu verändern. Nur in Sachen Liebe verstand er es, immer noch eine Schippe mehr drauf zu legen. (Ja, selbst vor seiner Schwiegertochter hat er nicht Halt gemacht!)

Auch John Updike merkt man die Freude an, in Rabbits Heimatstädtchen Brewer zurückzukehren und sich auf ein Neues an die Fersen von Janice und ihrem zweiten Mann, Ronnie, zu heften, einem alten Widersacher Rabbits, von Rabbits Sohn Nelson und dessen Exfrau mitsamt Kindern. Auch Rabbits aus der Art geschlagene Schwester hat einen Cameo-Auftritt. Routiniert, lässig, gleichwohl mit Hingabe und Sympathie beschreibt Updike ihr Leben nach Rabbit und ihre unterschiedlichsten Erinnerungen an ihn. Detailliert und hübsch sind Updikes Bilder aus dem amerikanischen Kleinstadtleben, wenn auch nicht frei von Melancholie: Kaum einer der Protagonisten fährt durch Brewer, ohne sich alter Zeiten zu erinnern und skeptisch die neuen zu betrachten. Natürlich bleibt auch das „große“ Amerika, speziell Bill Clintons Sexaffäre mit Monica Lewinsky, nicht außen vor und sorgt schließlich am Thanksgiving Day für einen handfesten Streit zwischen Nelson und Annabelle auf der einen Seite und Ronnie und seiner Familie auf der anderen.

Nichtsdestotrotz ist „Rabbit, eine Rückkehr“, das in den Staaten vor zwei Jahren als Teil einer Story-Sammlung erschien, ein altersmildes Buch. Nelson, der als Einziger sich freut über Annabelles Existenz, ist Ronnie nur wenig böse („Du und ich, wir sind wahrscheinlich die Einzigen auf der Welt, denen mein Vater immer noch ein Stachel im Fleisch ist“), nutzt die Chance, bei Janice und Ronnie auszuziehen, und kehrt am Ende zu seiner Exfrau Pru zurück.

Die Unruhe seines Vaters ist ihm nicht gegeben, das Schnüffelnde und Casanovahafte. Seiner Schwester will er ein Bruder sein, kein Liebhaber. Nelson lebt lieber getreu Einsichten wie „Das Leben ist insgesamt nicht besonders abwechslungsreich“ oder „Diejenigen, die der Strafe entgehen, erlegen sie sich selber auf. Wir alle tun das. Wir führen selber Buch über uns.“ Brav, unspektakulär, down to earth. Trotzdem so smart, dass man gern wissen möchte, wie es ihm weiter ergeht. Denn wenigstens eines ist Nelson und Rabbit gemeinsam: Serienhelden sterben nicht so leicht, schon gar nicht, wenn sie von John Updike sind.

GERRIT BARTELS

John Updike: „Rabbit, eine Rückkehr“. Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson. Rowohlt, Reinbek 2002, 253 Seiten, 19,90 €

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