: Koloniale Steuer und Cricket
Kino fast ohne Ellipsen: Wie das geht, zeigt „Lagaan“, der erste Bollywood-Film mit Oscar-Nominierung und regulärem Start in Deutschland
Bollywood ist in. Und so war es, nachdem Filme aus der indischen Traumfabrik auf Festivals und in Filmreihen, wie jüngst im Metropolis, schon seit ein paar Jahren präsent sind, eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis der erste regulär in hiesigen Kinos anläuft. Schließlich ist die indische Filmindustie die größte der Welt, sind die westlichen Länder die einzigen, in denen sie bisher noch nicht Fuß gefasst haben – und das im Zeitalter der Globalisierung.
Für den Anfang lässt sich kaum ein besserer Film als der für den letzten Auslands-Oscar nominierte Lagaan denken. Enthält Asutosh Gowarikers fast vier Stunden langes Epos doch alle Tugenden dieses Kinos der übergroßen Gefühle und darüber hinaus noch ein paar mehr. Zum Beispiel einen kritischen Blick auf die Geschichte. Es war einmal: Im Jahr 1893 steht die zentralindische Region Champaner, wie das gesamte Land, unter britischer Besatzung. Seit Monaten hat es nicht geregnet, da wollen die Briten den armen Bauern auch noch eine Verdoppelung der jährlichen Steuer, des Lagaan, aufbürden. Damit kann sich vor allem der junge Bhuvan (Aamir Khan) nicht abfinden und mokiert sich bei der Gelegenheit auch über das alberne Ballspiel, das die Besatzer mit fast heiligem Ernst zelebrieren.
„Cricket“, ruft Captain Russell (Paul Blackthorne) entsetzt aus – womit die Antagonisten des Films etabliert sind. Der Offizier macht den aufgebrachten Dörflern ein Angebot: Gelingt es ihnen, ihre Besatzer in einem dreitägigen Spiel zu besiegen, würde dem Dorf und der gesamten Region die Steuer für die nächsten drei Jahre erlassen. Bei einer Niederlage wäre dreifacher Lagaan fällig. Natürlich nimmt Bhuvan an – ohne sich jedoch über die komplizierten Relgeln des Spiels im Klaren zu sein.
Eine David-gegen-Goliath-Geschichte also, wie sie uns von Asterix gegen die Römer bis zu unzähligen US-amerikanischen Sportfilmen bestens vertraut ist. Aber mit speziell indischem Flair, masala, der unseren Sehgewohnheiten nur gut tun kann. Die Verwicklungen – die Schwester des britischen Offiziers hilft den Einheimischen, ein Verräter im eigenen Team kann gerade noch rechtzeitig bekehrt werden – sind mit ungewohnt erfrischendem Pathos inszeniert. Die perfekt choreografierten Tanz- und Gesangsnummern ergeben sich wie in den besten US-amerikanischen Musicals logisch aus der Handlung heraus.
Wo neuere filmische Erzählformen mit ihren kühnen Ellipsen immer verdichteter werden, da funktionieren Bollywood-Filme genau entgegengesetzt: Sie walzen ihre Geschichten in voller Breite aus – umso erstaunlicher, dass man dem nun, wie bei Lagaan, 225 Minuten lang gebannt zuschauen kann.
Eckhard Haschen
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