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Die sprachlichen Pirouetten des BGS

Undercoveragent bei der ICE-Blockade – der BGS verstieß gegen alle in Deutschland geltenden rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien, sagt der Lüneburger Rechtsanwalt Wolfram Plener. Seine Schlussfolgerung: Verfahren einstellen

Der BGS-Einsatzleiter muss sich genauso verantworten wie Innenminister Schily

taz: Herr Plener, der Bundesgrenzschutz hat eingeräumt, beim Castor-Protest einen verdeckten Ermittler eingeschleust zu haben, der den ICE vor Lüneburg mit blockierte. Jetzt rudert die Polizei zurück und sagt: Es war gar kein verdeckter Ermittler, sondern nur ein „ziviler Aufklärungsbeamter“. Was ist juristisch der Unterschied?

Wolfram Plener: Der Einsatz eines verdeckten Ermittlers ist nach § 110 a und b der Strafprozessordnung geregelt. Danach darf ein solcher Beamter nur eingesetzt werden, wenn ein Verdacht auf „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ vorliegt. Voraussetzung ist weiterhin, dass es keine andere Möglichkeit gibt, diese Straftaten aufzuklären.

Zwingend ist weiter, dass die Staatsanwaltschaft dem Einsatz zustimmt. Diese Zustimmung ist die juristische Grundlage des verdeckten Ermittlers. In diesem Fall will die Staatsanwaltschaft keine Kenntnis von dem Ermittler gehaben haben – kann diesem also auch nicht zugestimmt haben.

Gesetzt den Fall, sie wäre angefragt worden: Hätte die Staatsanwaltschaft dem Einsatz zustimmen dürfen?

Natürlich nicht. Erstens sind Straftaten von erheblicher Bedeutung, etwa organisierte Kriminalität, Mordserien, Rauschgift- oder Waffenhandel. Das ist also etwas anderes als der Protest gegen Castor-Transporte. Zweitens darf nur die Landespolizei verdeckte Ermittler einsetzen – nicht aber die Bundespolizei BGS. Nach dem BGS-Gesetz – das regelt die Befugnisse des BGS – ist es ihm nicht erlaubt, verdeckte Ermittler einzusetzen.

Will er ja nun auch nicht haben. Der BGS sagt: Es war ein „ziviler Aufklärungsbeamter“.

Der BGS versucht eine sprachliche Rettung. Als Rechtsform gibt es den zivilen Aufklärungsbeamten gar nicht. Sicherlich hat der BGS Zivilstreifen. Die dürfen sich aber niemals eine falsche Legende zulegen und auch nie in private Wohnungen eindringen.

Hier aber war beides der Fall. Der BGS-Mann arbeitete konspirativ – gab sich nicht als Polizist zu erkennen. Seine Legende: Ich bin Landwirt und ein Castor-Gegner. Und: Er übernachtete in einer Privatwohnung. Damit erfüllt er alle klassischen Merkmale eines Undercoveragenten. Daran ändern auch die sprachlichen Pirouetten nichts, die der BGS jetzt dreht.

Welche Konsequenzen muss es geben?

Der Fall zeigt: Polizei und Politik versuchen, den Widerstand gegen die Atompolitik mit verschärften Mitteln zu kriminalisieren. Die Art und Weise ist ein Verstoß gegen die in unserem Lande geltenden rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien durch die Polizei.

Aus diesem Grund wird sich der Leiter des BGS-Einsatzes verantworten müssen, genauso wie Bundesinnenminister Otto Schily, der ja oberster Dienstherr des BGS ist.

Was heißt das für die Aktivisten, gegen die strafrechtliche Ermitttlungsverfahren eingeleitet wurden?

Die Verfahren müssen eingestellt werden. Die Staatsanwaltschaft kann doch unmöglich Anklage angesichts einer so ungeheuren Kompetenzüberschreitung des BGS erheben. Vor allem nicht, nachdem die Polizei selbst bei der Aktion mitgemischt hat.

Und wenn doch?

Dann muss der BGS-Mann genauso angeklagt werden. Sein Einsatz war durch nichts gedeckt – ergo muss er als Mittäter behandelt werden.

INTERVIEW: NICK REIMER

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