piwik no script img

■ VerkäuferInnen in den Schichtdienst hetzenKonsumieren rund um die Uhr

betr.: „Religionsfreiheit nach Feierabend“ (Ladenschluss: Gewerkschaften wollen Eltern hetzen), taz vom 5. 12. 02

Ihr seid nicht mal fähig, ein Ereignis zu drucken, welches nach acht Uhr abends stattfindet, und verlangt von anderen Menschen, welche tatsächlich richtige Arbeit leisten, bis ultimo zu arbeiten. Ich, ich, ich – wie ein kleines Kind, welches am Boden liegt und schreit. DIEFFENBACH, Fürstenfeldbruck

Es ist richtig, dass veränderte Einkaufszeiten zu einer Umverteilung der Einnahmen führen: weg von den Geschäften, die überproportional viele Mitarbeiter beschäftigen (meistens unabhängige Geschäfte), hin zu den einschlägig bekannten Filialisten, die im Verhältnis zum Umsatz weniger Personal benötigen. Letzteren macht eine verlängerte Ladenöffnungszeit nicht so viel aus, da die Lohnkosten dort einen geringeren Anteil haben. Die Folge wird ein rasantes Sterben der Subzentren sein. In Großbritannien ist es bereits zu beobachten: Die kleinen Läden um die Ecke haben samstags oft geschlossen oder gleich Pleite gemacht. Dafür darf man sich dann im City-Center tummeln. Ein massiver Arbeitsplatzabbau im Einzelhandel wird daraus resultieren, nicht gerade das, was wir derzeit benötigen.

Veränderte Ladenöffnungszeiten können erst dann halbwegs arbeitsplatzneutral durchgesetzt werden, wenn nicht mehr die Arbeitsplätze (per Sozialabgaben), sondern hauptsächlich die Gewinne angemessen versteuert werden.

Um den betriebswirtschaftlichen Unsinn, alles rund um die Uhr konsumieren zu wollen, auch taz-Redakteuren zu verdeutlichen: Ich wünsche mir zum Beispiel eine ganz frische taz am Nachmittag: Die könnten Sie sicher produzieren, aber das würde die Kosten für die taz verdoppeln, während gleichzeitig die Abonnentenzahlen kaum steigen dürften. Das Überleben der taz wäre wohl nicht mehr möglich.

Ladengeschäfte können bereits 68 Stunden pro Woche geöffnet haben. Viel schlimmere Öffnungszeiten finde ich z. B. bei den Behörden: Zeiten zwischen 8 und 16 Uhr und viele Vormittage, Nachmittage oder gar ganze Tage geschlossen. Warum geht Gerhard Schröder nicht mit gutem Beispiel voran und verordnet allen Behörden Öffnungszeiten, die wenigstens den derzeit geltenden Ladenöffnungszeiten entsprechen? Sind ihm die Kosten zu hoch? Oder möchte er sich doch lieber nicht den Zorn seiner gut abgesicherten Beamten zuziehen. SEBASTIAN SCHLEICHER

Es sieht aus wie eine Provokation: Die Läden sollten jeden Tag rund um die Uhr geöffnet sein. Hannes Koch reitet hier aber auf der populären Welle für Liberalisierung und gegen die Gewerkschaften. Solche Gedanken sind mir schon öfter in der taz begegnet. H. Koch bestätigt selber, dass längere Ladenöffnungszeiten nicht zu mehr Konsum geführt hätten, sondern eher zu einer Verlagerung in große Einkaufszentren mit niedrigen Kosten und wenig Beratung. Manchmal bin ich selber so blöd und gehe dorthin. Aber erstens kann ich samstags meine E-Mails auch nach Ladenschluss lesen und zweitens weiß ich von meinem Schwager in einer Kleinstadt, dass er wie viele andere sein Foto- und Videofachgeschäft samstags um 13 Uhr schließt und nur einmal im Monat bis 16 Uhr öffnet. Weil der Umsatz nicht steigt, werden auch nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen, sondern nur die VerkäuferInnen flexibler eingesetzt. Die Kampagne: „Ohne Sonntag gibt’s nur noch Werktage“ hat weniger mit Religionsfreiheit zu tun als damit, dass ich auch gemeinsame Zeit mit meiner Familie und Freunden verbringen will. JÜRGEN WESSLING, Hannover

Leider fehlt mir wohl der geistige Zugang zu der Meinung von Hannes Koch. Als Verkäufer in einem Geschäft für Telekommunikation, welches 58 Stunden in der Woche geöffnet hat, sollte es auch Ihnen möglich sein, zu geschäftsüblichen Zeiten Ihren Einkauf zu erledigen. Oder nutzen Sie doch das Internet (24 Stunden geöffnet), genauso wie diverse Hotlines!

Ich kann jedenfalls nicht nach Feierabend noch meinem Hobby nachkommen, was durch Sie auch in Zukunft am Wochenende schwierig sein wird. Sportveranstaltungen erst ab 22.00 Uhr, Kinderfreizeiten gegen Mitternacht (wo dann auch der Papi mitkommt) oder Latenightmeeting mit den Freunden, die ja erst noch shoppen mussten!

Meine Frau ist Krankenschwester mit Schicht- und Wochenenddienst, das macht unsere gemeinsame Freizeitplanung natürlich einfacher. FRANK ROLF, Hamm

Oh Herrlichkeit des Shopping. Hannes Koch rät unserer Herrschaft, den Einkauf rund um die Uhr freizugeben. Weil die Deutschen anscheinend zu wenig flexibel sind, das Geld, von dem sie immer weniger in der Tasche haben, bis Samstag, 16.00 Uhr in die der Händler und Wechsler zu schaufeln. Wie glücklich können sich hingegen die Amerikaner schätzen, die jederzeit ihre Dollars loswerden können.

Wenn sie denn wissen, wann welcher Laden gerade geöffnet hat, und in der Pampa, wo es überhaupt noch einen gibt. Vom Begehr der Inhaber kleinerer Geschäfte, der Ladenschwengel, und deren Familien auf ansatzweise planbare Zeit sollte man nicht mehr reden. Denn die einzige Frage bleibt, aufgrund welch billiger sozialdemokratischer Finte sich die organisierte Arbeitnehmerschaft abermals ein Stück Modernisierung in den Kapitalismus des 19. Jahrhunderts anschnacken lässt. Dass die Menschheit ohne Wenn und Aber den göttlichen Geboten des Marktes zu folgen hat – und seien diese auch nur imaginär, versteht sich von selbst. KLAUS PRIESUCHA, Oldenburg

So ein Schwachsinn! Die Geschäfte sind in der Woche über 60 Stunden geöffnet und das reicht nicht? Wir sollen mehr konsumieren? Scheiß auf die Umwelt, Hauptsache, die Wirtschaft wächst? CORNELIUS MIDDELHOFF

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen