: „Groß wie eine Ananas ...“
… beschrieb Werner Heisenberg, Nobelpreisträger und Wegbereiter der Atomforschung, 1942 eine mögliche Atombombe. War er Hitlers Physiker oder Dahlemer Dissident? Ein Gespräch mit seinem letzten Doktoranden, dem Physikhistoriker Helmut Rechenberg, über Heisenbergs Berliner Jahre
von ADRIENNE WOLTERSDORF
taz: Erinnern Sie sich noch an den ersten Eindruck, den Sie von Heisenberg hatten?
Rechenberg: Völlig unauffälig. Man dachte zunächst an einen Handwerker. Er legte so eine Mappe auf die Knie, wie so ein Handwerker eben. Dann stand er auf, ging an die Tafel und war der Herr Professor. Er schaute einen zunächst an, dann wanderte sein Blick so schön langsam nach oben. Da blieb er hängen und kam nie mehr zurück. Irgendwie fühlte er, er müsse die Leute erst einmal anschauen. Dann aber hob er ab und legte los.
Wie wurden Sie sein Doktorand?
Er kam 1958 aus Göttingen nach München. Ich hörte bei ihm und zwei Jahre später arbeitete ich für ihn eine Vorlesung aus. Eines Tages sagte er zu mir, wenn Sie endlich mit ihrem Diplom fertig sind, dann kommen Sie zu mir.
Gab es denn unter ihnen, den Studenten, Diskussionen über Heisenbergs Rolle im Dritten Reich? Darüber, dass er verantwortlich war für das Uranprogramm der Nazis?
Sehen Sie, es waren die 50er-Jahre, man kannte ihn gut. Er hatte 1958 so eine berühmte Weltformel entwickelt. Wir wussten, dass er in der Nazizeit in Deutschland geblieben war, wussten, dass er am Kernenergieprojekt des Heereswaffenamtes im Krieg mitgearbeitet hatte. Das war uns bewusst. Dennoch waren wir ihm dankbar, dass er dageblieben war. Diskussionen, wenn überhaupt, hatten schon vorher stattgefunden.
Gab es da keine Haltung dazu? Sahen Sie sein Bleiben als positiv oder negativ?
Alle, die ihn kannten, empfanden das als sehr positiv.
Wurden Sie kritisiert, weil Sie bei einem Wissenschaftler promovierten, der zum Hitler-Regime aus heutiger Sicht nicht die rechte Distanz gewahrt hat?
Immer wieder, aber aus rein wissenschaftlichen Gründen. In den 60er-Jahren war ja die Quantenfeldtheorie, die Heisenberg mit entdeckt hatte, gar nicht mehr In. Man glaubte, es ginge auch ohne. Die Physiker selbst haben sich in den Nachkriegsjahren nicht zu Heisenberg politischem Verhalten geäußert. Das kam erst später.
Auch die, die in die USA gegangen waren?
Manche von denen fragten sich natürlich, warum Heisenberg nicht ins Ausland gegangen war. Viele verstanden das allerdings, besonders sein Schüler Edward Teller, der an den amerikanischen Atom- und Wasserstoffbomben mitgearbeitet hatte. Schließlich konnte man Heisenberg ja nicht vorwerfen, für Hitler die Atombombe gebaut zu haben.
Sahen die jüdischen Forscher-Emigranten das nicht anders?
Einige schon, aber Teller und, ich glaube, auch Einstein hatten Verständnis für seine Entscheidung.
War der Nobelpreisträger Heisenberg nicht politisch naiv?
Er war von Natur aus sehr optimistisch. Er glaubte zunächst immer an das Gute im Menschen. Schwierigkeiten hatte er selbst schon 1933. Fast alle seine Leipziger Assistenten waren Juden. Zum Beispiel Felix Bloch, später Nobelpreisträger. Der verließ ihn sofort. Heisenberg fuhr damals nach Berlin um sich mit Max Planck zu beraten, was man gegen die Entlassung der jüdischen Kollegen tun könne. Heisenbergs Plan, aus Protest gemeinsam zurückzutreten, redete ihm Planck aus. Der glaubte damals, das sei nur vorübergehend. Heisenberg merkte erst langsam, dass er da gar nicht mehr durchkam.
Ab Mitte der 30er-Jahre arbeitete Heisenberg mit der Einstein’schen Relativitätstheorie. Verschonte ihn die antijüdische Kritik?
Keineswegs. In der Quantentheorie waren unter anderen dabei Niels Bohr, Halbjude. Max Born, Jude. Deutsche Kollegen, darunter zwei Nobelpreisträger, griffen ihn und seine ganze Physik ab 1935 scharf an. Er konnte es gar nicht verstehen, denn die Theorie war ja sehr erfolgreich. Man brauchte die Relativitätstheorie zusammen mit der Quantentheorie, um die Kernphysik zu verstehen. Sie war die wesentliche Grundlage der Kernforschung. Seine Gegner waren allerdings Mitglieder der NSDAP und eben sehr einflussreich. Schließlich verhinderten sie, dass er die versprochene Professur in München antreten konnte. Das verbitterte ihn.
Wie wichtig war Werner Heisenberg damals?
Er war quasi der Spokesman der in Deutschland verbliebenen Theoretiker der modernen Elementarteilchen-Physik, der Relativitätstheorie und der Quantentheorie. Max von Laue und Max Planck galten da schon als alte Männer. Er aber stand, als Dozent zumal, voll in der Schusslinie.
Dennoch wurde er 1942 nach Berlin gerufen, als Leiter des Berliner Kaiser-Wilhelm-Institutes für Physik. Warum hat er diese Position, im Zentrum der Macht, angenommen?
Heisenbergs großes Anliegen war, dass die jungen Leute etwas lernen sollten. Denn die Physik wurde im Dritten Reich nicht sehr gefördert, und erst recht nicht die theoretische Physik. Die galt als jüdische, entartete Physik. In den 30er-Jahren ging deshalb die Studentenzahl um Faktor zehn zurück. Attraktiv waren damals Biologie, Rassenkunde, Chemie und so.
Das heißt, man empfing ihn in Dahlem nicht mit dem roten Teppich.
Im Gegenteil. Er musste für das Überleben seiner unter Verdacht geratenen Fachrichtung kämpfen.
Wie passt das zu dem Umstand, dass Heisenberg bereits 1939 dem Heereswaffenamt, also dem Oberkommando der Wehrmacht, angeboten haben soll, Atomkernenergie und eventuell Kernsprengstoff für eine Atombombe zu entwickeln?
Dem war nicht so. Er bekam einen Einberufungsbefehl vom Heereswaffenamt in der Hardenbergstraße. Man gab ihm zu verstehen, dass er an einer Tagung teilnehmen solle, auf der das Uranprogramm besprochen wurde. Er sollte dann erforschen, ob Atomkernenergie überhaupt möglich war.
Keine Bombe?
Nein, die war damals technisch einfach nicht möglich, das wurde schnell klar. Heisenberg sah in dem Programm die Chance, die theoretische Physik zu rehabilitieren und Forscher vor dem Kriegseinsatz zu bewahren.
Die Physik hätte er aber auch im Ausland rehabilitieren können. Hat er sich in privaten Briefen niemals darüber geäußert?
Heisenberg war ein Patriot. 1939 war er sogar noch in den USA auf einer Konferenz. Natürlich versuchten ihn die Kollegen verzweifelt zum Bleiben zu überreden. Er aber wollte nicht. Keinesfalls wollte er seine Schüler im Stich lassen. Er hatte, aus der Jugendbewegung kommend, ein starkes Verantwortungsgefühl …
… hätte ihn genau dies nicht dazu führen müssen, aus Deutschland wegzugehen?
Umgekehrt. Die Sorge um die Studenten war sein Hauptgrund zu bleiben. Für die Nazis war er Persona non grata. Wenn er einen Reiseantrag stellte, wurde er meist abgelehnt, denn Heisenberg galt als kritisch gegenüber dem Regime. Allerdings war er aus wissenschaftlicher Sicht für das Uranprogramm leider unumgänglich. Leiter des Kaiser-Wilhelm-Institutes wurde er nur, weil der Posten verwaist war.
Und die Sache mit der „Uranmaschine“, also dem Kernreaktor-Programm, das Heisenberg für die Nazis organisierte?
Davon war er durchaus begeistert. Er sah darin die Chance, für die Zukunft mehr Energie gewinnen zu können. Dass er den Kernreaktor würde bauen können, schien ihm damals technisch machbar. Eine Bombe wollte er aber auf keinen Fall. Wäre er 1939 in den USA geblieben, davon war er überzeugt, hätte er sicherlich dort am Bombenbau teilnehmen müssen. Er war auch überzeugt, man würde sie auf Deutschland werfen – da wollte er auf keinen Fall mitmachen.
Welches Verhältnis hatte Heisenberg zu Berlin?
Ein zwiespältiges. Einerseits lebten hier viele seiner Freunde. Planck, Einstein, Lise Meitner, die kannten sich alle gut. Er lernte hier Elisabeth Schumacher kennen, Berliner Professorentochter, die er 1937 in Dahlem in der Kirche Dietrich Bonhoeffers heiratete. Andererseits bedeutete ein Berlin-Besuch in den 30er-Jahren für ihn immer etwas Unangenehmes. Ministeriums- und Bittgesuche, weil er sich wieder mal für einen seiner Mitarbeiter eingesetzt hatte.
Sogar in die Prinz-Albrecht-Straße zur Gestapo wurde Heisenberg zitiert. Warum?
1937 tauchte ein Angriffe gegen ihn in Das Schwarze Korps, der Wochenschrift der SS, auf. Er sei der Ossietzky der Physik und Einsteins Statthalter in Deutschland und so. Himmlers Mutter, die in einem Kaffeekränzchen mit Heisenbergs Mutter saß, riet ihm, er möge doch mal ihrem Heinerle schreiben. Daraufhin ließ Himmler diesen Fall besonders streng prüfen. Heisenberg wurde zur Gestapo zitiert. Ausgerechnet zu seinem Hauptinquisitor dort entwickelte sich später eine gutwillige Beziehung. Heisenberg konnte ihm gegenüber gelegentlich Wünsche äußern, um jemandem zu helfen. Das war zwar heikel, aber irgendwie wurde dann unter der Hand was geregelt.
Heisenberg war Mitglied der „Mittwochsgesellschaft“ – ein illustrer akademischer Vortragskreis, zu dem auch einige der späteren Hitler-Attentäter des 20. Juli gehörten. Flirtete er insgeheim doch mit dem Widerstand?
Heisenberg hielt am 12. Juli 1944 im Harnack-Haus den vorletzten Vortrag dieses Kreises. Über die Sterne. Anwesend waren unter anderen Ferdinand Sauerbruch, einer von Hitlers Leibärzten, und eben die Verschwörer wie der damalige preußische Finanzminister Johannes Popitz, Karl Ludwig Beck, Jens Jessen und Ulrich von Hassell, ehemaliger Botschafter. Beck erschoss sich am 20. Juli selbst, die übrigen wurden nach und nach gefangen genommen und hingerichtet. Heisenberg arbeitete dann schon in Hechingen, Bayern, wohin sein Institut evakuiert worden war. Gegen ihn wurde nie ermittelt. Es gibt Quellen, die belegen, dass Popitz Heisenberg in die Attentatspläne eingeweiht hatte, dieser das Unterfangen aber für aussichtslos hielt. Sie kommen nicht durch mit der Sache, hat er ihm Monate zuvor gesagt.
Heisenberg lässt sich offensichtlich schwer einordnen. Er diente Deutschland, galt aber als illoyal gegenüber dem Regime. Er nutzte seine Machtposition, vermied aber persönliche Kontakte zu den Nazigrößen. Wie beurteilen Sie seine Rolle?
Er benutzte die Tatsache, an einem kriegswichtigen Projekt mitzuarbeiten, gezielt. Unter dem damaligen Minister für Rüstung und Energie, Albert Speer, hatte er sogar Spielraum. Speer mochte ihn irgendwie wegen seiner Gradlinigkeit, so dass er Heisenbergs Uranprojekt auch dann noch weiter förderte, als schon längst klar war, dass keine Bombe dabei herauskommen würde.
Was fehlte den Forschern?
Vor allem Teilchenbeschleuninger, sogenannte Zyclotrone …
… die hätte ein Albert Speer doch schnell mal bauen können?
Natürlich bot Speer 42 an, 6.000 Arbeiter zur Verfügung zu stellen, um Zyclotrone zu bauen und sonst was. Heisenberg konterte, dass es nichts nützen würde, weil ihm die Physiker und Techniker fehlten. Er wollte kein zweites Peenemünde. Schließlich sagte Speer, na ja, Energie ist ja auch wichtig, unterstützen wir halt das Uranprojekt weiter.
Warum scheiterte die „Uranmaschine“? Heisenberg wusste doch, wie’s geht.
Man hatte Heisenberg zwar Unterstützung zugesagt, aber als er schließlich die Hilfe der Industrie, Degussa und Auer hier in Berlin, benötigte, um Uranplatten herzustellen, wurde eine Fabrik nach der anderen zerstört und alles verzögerte sich. Das Uranprojekt war eben kein Peenemünde. Obwohl man sich für Heisenbergs Idee interessierte, Kernreaktoren als Antriebe für U-Boote und Panzer zu nutzen. Er verstand es eben, das Interesse der Mächtigen am Köcheln zu halten, ohne jemals ein Erfolgsdatum zu nennen.
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