: „Ich hab die Pfälzer Ruh“
Gespräch PETER UNFRIED
taz: Herr Wolf, machen Sie sich Sorgen um Ihre Zukunft?
Wolfgang Wolf: Warum sollte ich?
Wolfsburg hat jetzt ein neues Stadion, den Weltstar Effenberg, das große Ziel Champions League – und Sie sind ein Trainer, der, mit Verlaub, von den Stuttgarter Kickers kam.
Um Gottes willen: Das beleidigt mich nicht. Es stimmt ja. Als Trainer kam ich aus der 2. Liga, habe aber alles mitgemacht, was man im Profifußball erlernen kann. Ich war beim 1. FC Kaiserslautern Amateur, habe dann dort Bundesliga gespielt, war Kapitän in Lautern und Stuttgart, habe im Europapokal gegen Real Madrid gespielt, später war ich Manager und Trainer in Stuttgart.
Und wurden am Ende bei den Kickers entlassen.
Das war auch richtig so. Ich war damals im Trainerlehrgang in Köln und hatte den Kontakt zur Mannschaft verloren. Dann kam der Präsident und sagte: Du, Wolfgang, wir müssen. Es war die richtige Entscheidung. Mit mir wären wir abgestiegen. Zwei Wochen später war ich in Wolfsburg. Das war mein Glück.
Und knapp fünf Jahre später sind Sie dienstältester Bundesligatrainer. Wie haben Sie das geschafft?
Ich hab die Pfälzer Ruh.
Sie können sich doch ziemlich aufregen.
Okay, direkt nach dem Spiel bin ich auch impulsiv. Ich bin kein Bequemer. Ich mach kein Schleifchen drum. Ich sage, wie ich denke. Direkt, knallhart. Aber immer offen, nie hintenrum. Das kann ich mir heute leisten. Das habe ich mir erarbeitet.
Wo ist da die Ruhe?
Die kommt, wenn es kritisch wird. Da analysiere ich erst mal die Situation für mich. In die Krise kommen alle Trainer mal. Ob ein Trainer gut ist, entscheidet sich in diesen schwierigen Situationen. Wenn die Jungs merken, dass du hektisch wirst, dass du mit niemand mehr redest, dass du Entscheidungen triffst, die nicht nachzuvollziehen sind, dann kommst du da nicht raus.
Bei Ihnen war es mehrmals eng, zuletzt im Herbst 2001, als der VfL Tabellenletzter war.
Von außen sah das so aus. Innen war das noch nie so eng.
Es war nicht eng?
Okay, es war eng. Aber nicht sooo eng. Viele Niederlagen hätte ich mir nicht mehr erlauben können. Auch in Wolfsburg wird der Druck größer.
VW will die Reputation seines Unternehmensstandorts aufwerten mit einer international präsenten Fußball GmbH.
Ja, aus unserem Erfolg ist das Stadion erwachsen. Und die Erkenntnis bei VW, dass man Fußball in Wolfsburg noch stärker fördern muss, und dass sich das auch für VW lohnt …
… um der Welt und den Wolfsburger Beschäftigten zu zeigen, dass es sich nicht um eine trostlose Stadt handelt?
Also trostlos ist es hier nicht. Schön ist es immer da, wo man Erfolg und Freunde hat, und wo die Familie ist.
Sie leben mit der Familie schön draußen auf dem Land.
Das hat nichts mit Wolfsburg zu tun. Das ist eine Arbeiterstadt im besten Sinne. Wer sich darüber in der heutigen Zeit beschwert, hat Flausen im Kopf. Ich habe damals gesagt: Ich tue meine Kinder in Braunschweig in die Schule. Ich habe in Stuttgart erlebt, wie der Familienfrieden gestört ist, wenn die Kinder nach Niederlagen gehänselt werden.
Manche denken, VW würde Sie mit Geld zuschütten.
Leider nicht. 2007, 2008 will der VfL Champions League spielen, aber deswegen können wir keinen Spieler für zehn Millionen kaufen. Unser Manager sagt mir auch mal: Da brauchst du gar nicht hinzufliegen. Es wäre auch fahrlässig, wenn so ein Weltkonzern in der heutigen, schwierigen Zeit für den Fußball das Geld ausschütten würde.
Vor Effenberg kannten viele den VfL Wolfsburg nur wegen eines Wortspiels.
Ach Gott, ja, Wolfsburg, Wolf, Wolfgang. Sehr lustig. Irgendwann kannst du das nicht mehr lesen.
Der Stadionsprecher nennt Sie den „Herrn der Wölfe“.
Das passt halt. Besser als Schmidt oder Maier. Normalerweise dürfte es bei dem Namen keinen anderen Verein geben.
Eben. Aber Ihr Vertrag ist noch nicht verlängert.
Na ja, ich bin jetzt im fünften Jahr hier. Da müssen sich beide Seiten genau überlegen, ob sie wollen. Ich mache das in der Winterpause. Ich habe das jetzt fünf Jahre mit Manager Peter Pander im Konsens gemacht. Wir ticken gleich. Und so soll es bleiben.
Vielleicht sitzt irgendwo ein anderer und wartet schon.
Der sitzt schon vier Jahre. Als Trainer bist du immer in Frage gestellt. Alle wissen alles besser. Aber: Wir haben wirklich viel erreicht. Und die anderen haben bislang vergeblich gelauert.
Tabellarisch stagnieren Sie.
Das täuscht. Nachdem ich Willi Reimann abgelöst hatte, hat die Mannschaft die Klasse erhalten. Knapp. Dann bin ich zum Manager und hab gesagt: Wenn wir weiter zusammenarbeiten, müssen wir zehn neue Leute holen. Sonst halten wir die Klasse nicht mehr.
Und?
Dann haben wir zehn neue Leute geholt. Und haben eine neue Qualität entwickelt. Viele Vereine haben einen Dreijahreszyklus, die fallen im dritten Jahr runter. Wir haben uns in dieser Zeit mit relativ bescheidenem Aufwand für den Uefa-Cup und den UI-Cup qualifiziert. Auch dafür muss man sich verbessern.
Wollen Sie sagen, dass sich der Kader …
… entwickelt hat. Klar. Eindeutig. Wir haben alles geändert. Vom Libero zum modernen Fußball und zu einer Mannschaft mit einer Altersstruktur, die stimmt. Wir haben uns spielerisch weiterentwickelt, taktisch, wir laufen niemand mehr hinterher. Wir haben in dieser Saison noch gegen keine Mannschaft gespielt, die besser war als wir.
Lügt die Tabelle?
Hätten wir auswärts ein Spiel mehr gewonnen, sähe alles anders aus. Da fehlt uns die Coolness. Gegen uns macht ja keiner mehr das Spiel. Die anderen warten auf Fehler von uns. Früher war es umgekehrt. Das zeigt unsere Entwicklung. Wir haben jetzt Perspektive.
Europäische Perspektive?
Ja, nächste Saison müssen wir noch auf vier, fünf Positionen Top-Leute holen. Und damit weiter unsere Qualität steigern, systematisch. Nur das macht Sinn, erfordert aber Geduld. Im nächsten Jahr heißt es dann: Wir wollen international spielen in unserem neuen Stadion.
Der Einkauf von Stefan Effenberg signalisiert vielen, dass es heuer schon los gehen muss.
Nein. Er ist ein Zeichen dafür, dass wir es ernst meinen.
Effenberg ist der erste Weltstar, mit dem Sie arbeiten.
Ja, die Verpflichtung von Effenberg und die Arbeit mit ihm ist auch ein Meilenstein in meiner Karriere. Viele haben zu mir gesagt: Wenn ein Effenberg kommt, bist du in drei Wochen nicht mehr da.
Sie behielten die Pfälzer Ruh?
Das Risiko bin ich locker eingegangen. Das wollte ich gerade mal wissen.
Aus dem Bauch raus?
Nein, ich habe mich mit Stefan getroffen, wir haben geredet. Und dann haben der Manager, Stefan und ich gewusst: Wir machen das.
Sie machen viel über Laufarbeit, Kampf und den Teamfaktor. Und da holen Sie sich einen Imperator?
Das sehe ich ganz anders. Erstens rennen und kämpfen wir nicht nur. Im Gegenteil: Wir sind im Moment spielerisch zu stark. Uns fehlen die Kämpfer, wenn es rustikal wird. Zweitens hat uns einer gefehlt, der von allen akzeptiert wird, der die Übersicht behält, wenn es eng wird, der das Spiel langsam und schnell machen kann, die anderen mitreißen und das Heft auch verbal in die Hand nehmen. Das macht jetzt der Stefan.
Und Neid und Missgunst zogen nicht ins Paradies ein?
Überhaupt nicht. Das glaubt mir jetzt auch wieder nur die Hälfte, aber der Stefan präsentiert sich als Star ohne Allüren. Der Stefan ist ein Profi, so ein Profi!
Sie betonen das Wort?
Ja, an dem können sich die Jungen ein Beispiel nehmen. Jeder meiner jungen Spieler schaut auf ihn, im Training, in der Vorbereitung, im Spiel. Und denkt: Da kann ich was lernen. So weit möchte ich es auch mal bringen.
Der VW-Manager Bernd Sudholt hat Effenberg einen Marketingwert von 10 Millionen Euro attestiert. Können Sie ihn da kritisieren?
Das hab ich auch gelesen. Aber ich habe Effenberg ja nicht geholt, weil er unser Image verbessert, sondern weil ich denke, dass er uns fußballerisch weiterbringt. Wenn ich der Meinung sein sollte, dass ich etwas in Richtung Stefan sagen muss, dann tue ich das.
Effenberg kann als einer der wenigen auch den scheinbar kleinen Pass, der selbst gegen eine formierte Abwehr die Enge des modernen Fußballs aufhebt.
Stimmt. Und: Der Effe macht ja praktisch keinen Fehler im Passspiel. Ich hatte ihn erst vor der Abwehr eingeplant, wo er abfangen und lange und kurze Bälle spielen kann. Aber er hat sich als enorm torgefährlich rausgestellt, er kann die Pässe spielen und geht dann hinterher.
Also spielt er weiter vorn.
Ja, er kann jetzt mitdirigieren, die Stürmer draufschieben, und wenn er den Ball hat, kann er das Spiel beruhigen und die überraschenden Pässe spielen. Eben ein Ausnahmefußballer und ein Glück für jeden Trainer und Mitspieler.
Da muss Ihnen die Zukunft keine Angst machen, Herr Wolf?
Wenn die Situation mal so käme, dass ich auf dem Markt wäre, weiß ich, dass das nicht einfach ist. Man muss aber auch immer bedenken, wie gut es uns Trainern gegenüber anderen in der Gesellschaft geht. Da von Zukunftsängsten zu sprechen wäre schamlos.
Also haben Sie keine?
Ich hab keine Zukunftsängste.
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