: Das Phänomen und das Mädchen
Es geht hier nicht um Armin Kölbli und seinen Schwanz – vielmehr verpackt der Bremer Künstler und Friedensengel Hoffnung in riesige Eier aus Beton und legt diese dann an höchst unwirtlichen Orten ab. Überall in der Welt. Ein Weihnachtsmärchen
Dieser Mensch ist ein Phänomen. Ungeliebt und oft genug abgewiesen deshalb, weil er ein Phänomen ist. Etwas, das der Norm nicht entspricht. Das man nicht erklären kann. Das auftaucht, wenn und wann man es am wenigsten erwartet. Das ängstigt.
Gleichzeitig aber auch geliebt, weil es der Norm nicht entspricht und weil es dadurch etwas bewegt. Das es immer wieder schafft, zu begeistern und über Grenzen zu schreiten, an die andere sich nicht einmal heranwagen. Vielleicht ist ja das sein Geheimnis: Mut zum Wagnis, sei es noch so irrwitzig und „undurchführbar“.
Nun sitzt dieses Phänomen am Tisch, funkelt aus schmalen Augenschlitzen und spricht von sich in der dritten Person: „Es geht nicht um Armin Kölbli und seinen Schwanz. Mädchen.“
Es – nein ER – nippt am Rotwein und belauert sein Gegenüber: „Ich entblöße mich vor dir“, kokettiert er. Geistig? Blitzschnell wandelt sich sein Blick in den eines angeschossenen Rehs. Ach so. Aha. Langsam dämmert’s: Dieses menschliche Phänomen ist also ein Mann. Nun ja. Schwamm drüber. Und noch ’nen Rotwein, was soll’s – für den Herrn natürlich.
„Ich bin kein Eiermann“, zischt der Kölbli maliziös im Durmersheimer Heimatdialekt. Was ist er dann, außer ein Mann, der sein Gegenüber Mädchen nennt und dessen Schwanz angeblich keine Rolle spielt? Ein Besessener, ein Samensäer (in künstlerischer und politischer Hinsicht, versteht sich), ein Zeichensetzer, einer, der sich nicht scheut, an die Front zu gehen: Armin Kölbli.
Ein Exot aus dem Baden-Würtembergischen, den es nach Bremen verschlug und außerdem in die ganze Welt – zuletzt ist er im Kosovo gelandet. Armin kommt zur Sache. Plötzlich wirkt er unsicher, kramt verlegen in einer großen Mappe und in den Fotos. „Ich weiß auch nicht, ob das alles so toll ist, was ich da mache – aber es ist was Ehrliches.“ Außerdem, er hebt den Finger, als müsse er sich selbst belehren, habe es großen symbolischen Wert. Davon sei er überzeugt. Und davon hat er noch ganz andere überzeugt. Des Kanzlers Exgattin Hiltrud Schröder beispielsweise, Bremens Altbürgermeister und Kosovo-Beauftragten Hans Koschnick und Theaterintendant Klaus Pierwoß – und Oberstleutnant Armin Brenker, der zur Führung der deutschen KFOR-Truppe im Kosovo gehört.
„OVUM“ heißt das Lebensprojekt Armin Kölblis. Das ist eine zehn Tonnen schwere Skulptur aus Beton. Derer gibt es mittlerweile drei. Bei diesen überdimensionierten Eiern handelt es sich jeweils um eine Art Zeitkapsel. Im Innern befinden sich nämlich Briefe, die für die Nachwelt bestimmt sind. „OVUM II“ konnte Kölbli im Jahr 2000 an der letzten Ausfahrt vor Tschernobyl (Ukraine) als Mahnmal installieren. „Ich wollte damit nochmal unterstreichen, was für eine Zeitbombe die Atomkraft für die Menschheit darstellt.“ Und trotzdem – oder vielleicht deshalb – ist er ein (unverbesserlicher?) Optimist. Die dritte Skulptur „OVUM 3001“ baute er als Symbol der Fruchtbarkeit. Ursprünglich war geplant, dieses mit Botschaften der Menschen befüllte Ei über nationale, religiöse und kulturelle Grenzen hinweg zu transportieren. Endstation sollte der UNO-Rat in New York sein.
Doch diesem Ansinnen machte der verhängnisvolle 11. September 2001 einen Strich durch die Rechnung. Damals stand „OVUM III“ in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, nachdem es auf seiner Expedition Station vor dem U-Boot-Bunker Valentin in Bremen-Farge, vor dem Bremer Goethe-Theater, vor dem Opernhaus Hannover, auf der EXPO 2000 und vor dem EU-Parlament in Straßburg machte. Dann sollte es eigentlich weiter nach Teheran (Iran) „reisen“. Doch das wurde „nach dem Terroranschlag plötzlich ein Ding der Unmöglichkeit“.
Was also tun? Armin Kölbli ist kein Mann, der so schnell aufgibt. Seine Ideen schon gar nicht. Oder wie es Hans Koschnick beschreibt: Einer, der sich „mehr als redlich bemüht, für seine Idee offene Ohren und offene Herzen zu finden“.
Er fuhr in den Kosovo und fand in Obilic, einige Kilometer von Pristina entfernt, eine „Braunkohlehölle“ vor. Schlote eines Kraftwerks, deren schwefel- und kohlendioxidhaltiger Ausstoß ohne Unterbrechung den Himmel verdunkelt. „Das Gift frisst sich in die Lungen der Kosovaren.“ Da habe er gewusst: Das ist der richtige Platz! Die Endstation. „Weißt du“, Armin unterbricht sich plötzlich selbst und blättert fahrig in der großen Mappe, deren Seiten mit steiler und enger Schrift beschrieben sind, „es war wirklich schrecklich da.“ Zweieinhalb Monate habe er dort gelebt.
Der 44-Jährige beginnt mit belegter, krächzender Stimme vorzulesen. Diese Mappe muss sein Tagebuch sein. Authentisch: Ein Gedicht über einen zwiegespaltenen Mann, der resigniert, aber trotzdem die Hoffnung nicht verlieren will. Nicht kann! Getrieben, zerrieben und auf der Suche.
Was suchst du?, als zaghafte Frage. Leise Antwort: „Die Wahrheit?“ Schweigen. „Ich suche die Vernunft.“ Er klappt das Tagebuch energisch zu. „Ich habe doch gesagt, ich entblöße mich.“ Ein unterschwelliger Vorwurf.
„OVUM III“ steht seit November 2002 in Obilic vor dem Braunkohlekraftwerk. Die KFOR transportierte es dorthin. Bis 3001 soll es dort bleiben. Dann erst darf das versiegelte Ei geöffnet werden.
Und die „Kinder unserer Kinder“ finden dann über 2.000 Briefe vor. Der Inhalt ist Hoffnung, sagt Armin. Übrigens sind auch Briefe dreier Schulklassen der Schule an der Helgoländer Straße dabei. Die Pädagogin Nicola Roggendorf hat Kölblis visionäres Werk im Unterricht behandelt. Armin Kölbli will nicht nur mahnen, sondern Alternativen anbieten. Er installierte auf dem Rathaus in Obilic zwei Solarmodule, die Strom für Licht und Computer produzieren.
Für solche Aktionen verschuldet sich der Künstler ohne schlechtes Gewissen. Einen Appell an Joschka Fischer hat Kölbli vor einigen Wochen geschickt. „Helft dem Kosovo mit Sonnenenergie.“ Für ihn ist das alles längst nicht abgeschlossen. Dabei hat er schon wieder ganz andere Pläne: Auf Usedom soll er in einem Naturpark gläserne Eier aufbauen. Mit dem Offenen Kanal Bremen will der gelernte TV-Aufnahmeleiter einen Kurzfilm drehen. Außerdem wolle er einen Austausch des Nationaltheaters Pristina mit dem Bremer Theater initiieren. Intendant Klaus Pierwoß fände die Idee unterstützenswert.
Dieser Mann ist ein Phänomen – ein wunderliches Naturereignis. Das grient und blinzelt übers ganze Gesicht – triumphierend: „Ich habe bis heute überlebt, also werde ich auch weiter überleben!“ Mit einem Mal Falten auf der Stirn: „Oder? Ich werde es doch überleben? Oder!?“ Ich denke schon, kommt die Antwort zögernd, ein Phantom bist du jedenfalls nicht.
Daniela Barth
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