Architektur: Gesichtsverlust durch Sanierung
Der "Kreuzberg Tower", eines der auffälligsten Bauwerke der Internationalen Bauausstellung (IBA), wird derzeit renoviert. Kritiker blasen zum Angriff
War es eine Ahnung? In einer Zeichnung zu seinem "Kreuzberg Tower" in der Charlottenstraße hat der amerikanische Architekt John Hejduk eine Träne auf die Fassade gemalt. Das lustige "Gesicht" des Hauses - Fenster mit grünen Metallmarkisen als Augen mit Brauen sowie Balkone als Nase - schaut traurig drein.
Genauso steht es heute um den 14-geschossigen Kreuzberger Wohnturm mit zwei niedrigeren Gebäudeflügeln für 55 Wohnungen und Ateliers, die Hejduk 1988 für die Internationale Bauausstellung (IBA) in der Südlichen Friedrichstadt realisiert hatte. Im Rahmen von Sanierungsarbeiten, die zurzeit vom Eigentümer, der Berlinhaus Verwaltung GmbH, durchgeführt werden, wurde die schlichte graue Fassade verändert. So hat man an einem Flügel das grau-grüne Farbschema weiß überpinselt. Es sollen größere Balkone angebaut und die markanten Markisen - die "Augenbrauen" - teilweise entfernt oder in anderer Form sowie in Blau oder Rosa ersetzt werden. Dagegen protestieren jetzt Architekten, Baukritiker, Verbände wie das Deutsche Architektur Zentrum (DAZ) - und Renata Hejduk, die Tochter des im Jahr 2000 verstorbenen Architekten und Dozentin an der Baufakultät der Arizona State University.
In einer Petition, die schon über 1.000 Architekten und Nichtarchitekten, darunter Prominente wie Peter Eisenman, unterzeichnet haben, fordert Hejduk "Richtlinien für die Modernisierungsarbeiten". Sie sollen dem "Original entsprechen und die Urheberschaft des Architekten respektieren". Vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird verlangt, nach jahrelanger Vernachlässigung des Baus die Renovierung zu kontrollieren.
Zugleich wird der Eigentümer aufgefordert, "gestalterische Veränderungen" zu unterlassen, bis mit Hejduks Erben eine Einigung über das "Kunstwerk" erzielt werde. Bisher jedoch, sagt Renata Hejduk, habe sie auf ihre Anfragen keine Antworten erhalten. An Sachgesprächen "zeigten die Besitzer keinerlei Interesse".
In der Tat ist der IBA-Bau von großer Wichtigkeit für Berlin und "Bedeutung für die Zeit", wie Ian Warner, Herausgeber des Architekturmagazins Slab, der taz sagte. "Der Kreuzberg Tower ist bezeichnend für Hejduks späte Entwürfe, die eine Faszination für einfache geometrische Formen, erzählende Mythologie und einen mit vermenschlichenden Darstellungen spielenden Symbolismus offenbaren." Hejduk, der wenig baute, wurde bekannt als Mitglied der Avantgarde-Gruppe "New York Five" (1972) um Eisenman und Richard Meier. Er war bis 2000 Dekan der Cooper Union School of Art and Architecture in New York.
Doch nicht nur der gestalterische Angriff, den schon andere IBA-Gebäude hinnehmen mussten, passt den Hejduk-Fans nicht: Kritisiert wird auch, dass die Berlinhaus für das mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus errichtete Ensemble jetzt horrende Mieten verlangt. Statt 5,50 Euro kalt pro Quadratmeter wie noch 2007 werden nun 7,50 Euro und mehr gefordert. Wer nicht zahlen kann, erhält die Kündigung, berichtete öffentlich eine Exmieterin. Auch Franz Schulz, grüner Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, hatte die neuen Mietpreise kritisiert.
Die Berlinhaus juckt das wenig: Die Mieten sind laut aktueller Wohnungsangebote weiter saftig. In der Sanierungsfrage sei man aber bereit zum Dialog über einen "breiten Gestaltungskonsens", so die Geschäftsführung. Bisher sind das nur Lippen-
bekennt-
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!