Arbeitsplätze am Flughafen: Das Frankfurter Job-Märchen
Der Ausbau des Frankfurter Flughafens wurde vom Versprechen von 100.000 neuen Arbeitsplätzen begleitet. Bewusste Täuschung, sagen Kritiker.
FRANKFURT/M. taz | Es war ein großes Versprechen, das der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) 2007 gab: 100.000 neue Jobs, so sagte er, würden durch den Bau der Landebahn Nordwest am Frankfurter Flughafen entstehen. Auch Flughafenbetreiber Fraport warb offensiv mit dieser Zahl. Heute ist davon nicht mehr viel übrig.
An Deutschlands größtem Luftfahrtdrehkreuz starten und landen jeden Tag knapp 1.400 Flugzeuge. Sie transportieren über 150.000 Passagiere und mehrere tausend Tonnen Fracht. Das gibt vielen Menschen Arbeit, direkt am Flughafen sind es rund 75.000, dazu kommen viele Zulieferbetriebe. Im letzten Herbst wurde die neue Landebahn eröffnet, um die Kapazitäten weiter zu steigern.
Dieser Flughafenausbau ist mit großen Ankündigungen verbunden: Das Wohlergehen einer ganzen Region mit über drei Millionen Einwohnern wird von Ausbaubefürwortern an das Projekt geknüpft. Sie versprechen, dass der Bau der Landebahn viele neue Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft ankurbeln werde.
■ Wer: Mehr als 60 Bürgerinitiativen demonstrieren seit November 2011 gegen den Betrieb der Nordbahn und für ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr
■ Wo: Im Terminal 1, Abflughalle B vor der westlichen Anzeigetafel
■ Wann: Montags ab 18.00 Uhr
■ Infos unter: www.flughafen-bi.de
Das ist wichtig, weil bei der Abwägung von wirtschaftlichen Interessen einerseits und Naturschutz sowie dem Ruhebedürfnis der Anwohner andererseits jeder Arbeitsplatz zählt, der durch die Flughafenerweiterung geschaffen wird. Denn mit jedem neuen Job lässt sich der Ausbau besser rechtfertigen.
Exakte Erfassung
Doch eine genaue Zahl der entstandenen oder noch entstehenden Jobs gibt es nicht, solche Zahlen sind schwer zu ermitteln: Denn zu Kochs 100.000 Arbeitsplätzen zählen sowohl die direkten Arbeitsplätze, also jene, die auf dem Flughafenareal entstehen sollen, als auch die indirekt bei den Zulieferbetrieben entstehenden Jobs.
Doch mehr als die Hälfte dieser neuen Arbeitsplätze sind angeblich auf die sogenannten induzierten und katalytischen Beschäftigungseffekte zurückzuführen. Das bedeutet: Ein direkt oder indirekt Beschäftigter gibt sein Gehalt zum größten Teil auch wieder aus, etwa beim Frisör oder beim Bäcker. Also wird sein Lohn auf diese induzierten Arbeitsplätze umgerechnet, die angeblich vom Flughafen abhingen.
„Noch undurchsichtiger wird es bei den katalytischen Effekten“, sagt Friedrich Thießen, Wirtschaftsprofessor an der Uni Chemnitz. „Die angeblich positive Auswirkung einer Flugreise auf Unternehmen wird freihändig geschätzt und in Jobs umgerechnet. Jeder Gutachter vollzieht diese Rechnung aber etwas anders.“
Wenn also beispielsweise ein Banker ein paar geschäftliche Flugreisen pro Jahr von Frankfurt aus tätigt, dann zählt ein bestimmter Anteil seines Jobs als vom Flughafen geschaffen. Tatsächlich beweisen lassen sich die induzierten und katalytischen Effekte nicht. Unter Experten ist umstritten, ob und inwieweit sie überhaupt bestehen.
Arbeitsplätze nur an den Flughafen verlagert
Bei der Frage nach Zahlen muss auch die zuständige Arbeitsagentur passen, es gibt keine eigene Statistik für den Airport. Die einzige Quelle bleibt Fraport. Der Konzern hatte zu Jahresbeginn behauptet, dass ein Teil der versprochenen 100.000 neuen Jobs schon vorhanden sei, nämlich 6.450, die durch Unternehmensansiedlungen am Flughafen entstanden seien.
Aber auch das ist nicht ganz richtig, denn die angepriesenen Arbeitsplätze sind nicht neu, sondern nur an den Flughafen verlagert worden – viele davon sogar aus der Rhein-Main-Region. Zu diesem Ergebnis kam das ARD-Magazin „Report Mainz“, als es Anfang des Jahres bei Fraport nachfragte, welche Firmen sich infolge des Ausbaus am Flughafen angesiedelt und somit Arbeitsplätze geschaffen hätten. Anschließend hakte „Report Mainz“ bei diesen Unternehmen nach, wie viele Jobs sie neu geschaffen hätten. „Aus den Antworten ergibt sich, dass mehr als 5.300 Arbeitsplätze bereits vorhanden waren“, hieß es in der Sendung.
Dadurch lässt sich zwar nicht abschließend belegen, dass die Prognosen der Ausbaubefürworter falsch sind, aber es entstehen erhebliche Zweifel. In einem Gespräch mit der taz kurz nach Ausstrahlung der ARD-Sendung bezeichnete ein Fraport-Sprecher die Ergebnisse des ARD-Magazins als „bewusste Täuschung der Öffentlichkeit“. Er nannte, um dies zu untermauern, „positive Beispiele“ für Firmenansiedlungen: die Unternehmensberatung KPMG und das Logistikunternehmen DB Schenker.
Eine Nachfrage bei diesen Firmen bestätigte allerdings die Ergebnisse des ARD-Magazins. DB Schenker habe, so eine Sprecherin, „keine neuen Jobs geschaffen“, sondern lediglich Arbeitsplätze verlagert. Außerdem habe die Ansiedlung am Flughafen „überhaupt nichts mit der neuen Landebahn zu tun“. Dasselbe Bild ergab sich bei KPMG.
Fraport bleibt die Antwort schuldig
Inzwischen stellt Fraport den Sachverhalt anders dar: KPMG sei an den Flughafen umgezogen, habe aber keine neuen Arbeitsplätze geschaffen. Doch eine genaue Zahl von wirklich neu geschaffenen Jobs bleibt Fraport schuldig: „Das ist schwierig auseinanderzudividieren“, sagt ein Sprecher. Woran er aber festhält, ist die Prognose: „Volkswirtschaftlich entstehen 100.000 Arbeitsplätze.“
Professor Thießen erklärt das so: „Die meisten sogenannten neuen Jobs an Flughäfen werden nur in der jeweiligen Region verlagert. Der Ausbau des Frankfurter Flughafens führt also netto kaum zu mehr Arbeitsplätzen.“
Trotz alledem hält die schwarz-gelbe Landesregierung an ihren Aussagen fest und sieht „keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass in der Rhein-Main-Region eine Verlagerung von Jobs zum Flughafen stattgefunden hat“, so ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums.
Kritiker des Flughafenausbaus wie der grüne hessische Landtagsabgeordnete Frank Kaufmann werfen der Landesregierung vor, dass diese den Flughafenausbau mit aller Macht habe durchsetzen wollen, ohne belastbare Zahlen vorweisen zu können: „Es wurden alle Verfahren so gestaltet, dass das Prestigeobjekt Nordwest-Landebahn unbedingt gebaut werden konnte.“ Hermann Schaus von der hessischen Linkspartei wird noch deutlicher: „Das war bewusste Volksverdummung.“
Einfluss auf den Arbeitsmarkt statistisch nicht nachweisbar
Beide verweisen darauf, dass die Zweifel am Jobargument keineswegs neu sind. 1998 wurde ein 15-monatiges Mediationsverfahren zwischen Experten, Kritikern und Befürwortern von der damaligen rot-grünen Landesregierung angeregt, die damit den Weg zum Bau der Landebahn ebnete. Am Ende der Mediation war sogar davon die Rede, dass „bis zu 250.000 Arbeitsplätzen in Hessen“ vom Flughafenausbau abhingen. Es gab drei bedeutende Gutachten, die sich mit den ökonomischen Folgen des Ausbaus befassten.
Eines davon, durchgeführt von dem renommierten Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung, kam zu dem Ergebnis, dass „ein Einfluss einer Flughafeninfrastruktur auf den Arbeitsmarkt statistisch nicht nachweisbar“ sei. Allerdings wurde dieses Gutachten vom Antragssteller Fraport nicht in die Planfeststellung zum Ausbau eingebracht.
Teil dieses entscheidenden Verfahrens waren nur die von Fraport in Auftrag gegebenen Neuauflagen der anderen beiden Gutachten, die bis zu 80.000 neue Arbeitsplätze prognostizierten. Eines dieser beiden Gutachten stammt aus der Feder von Professor Herbert Baum, der bis vor Kurzem das Institut für Verkehrswissenschaft in Köln leitete. Er gilt als großer Freund der Luftfahrtindustrie und erstellte bereits etliche positive Jobprognosen für andere Flughäfen.
„In seinem Gutachten findet man Auslassungen in Hülle und Fülle“, sagt Thießen, der sich 2006 mit zwölf weiteren Wissenschaftlern aus ganz Deutschland kritisch mit den beiden Gutachten befasste. Das Ergebnis: „Mit dem gewählten Vorgehen ist ein Bild von der Vorteilhaftigkeit des Flughafenausbaus vermittelt worden, das nicht durch wissenschaftlich abgesicherte Verfahren zustande gekommen ist.“ Es ist von „indiskutablen Fehler“ die Rede.
Lärmteppich vertreibt Besserverdienende
Doch diese Kritik wurde bei der Ausbauentscheidung durch das hessische Wirtschaftsministerium offenbar ignoriert. Mit dem Argument, dass Zehntausende neue Jobs geschaffen würden, konnten die Ausbaubefürworter den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Zu den Ausbaugegnern gehören auch etliche Kommunen aus der Rhein-Main-Region. Darmstadt etwa hat bereits im Jahre 2005 Einwände gegen das Planfeststellungsverfahren eingereicht. Dabei führte die Stadt auch das Argument der Verlagerung von Jobs an.
Auch die Stadt Offenbach ist von den negativen wirtschaftlichen Folgen betroffen: „Das ganze Stadtgebiet liegt unter einem Lärmteppich. Kosten für Lärmschutz bleiben an den Hauseigentümern respektive der Stadt hängen“, sagt Sprecher Carlo Wölfel. Außerdem werde bereits spürbar, dass Besserverdienende wegen des Fluglärms wegziehen: „Dadurch sinken die städtischen Anteile an der Einkommensteuer.“
Die Hessische Landesregierung indes stimmt weiterhin Lobeshymnen auf den Flughafen als „Herzmuskel“ der Wirtschaft an. Mit solch diffusen Argumenten wurden längst Fakten geschaffen: Die Landebahn ist gebaut. Die versprochenen Jobs sind aber nicht da. Ob es sie noch geben wird – unklar.
Neben den offensichtlichen Verlierern des Flughafenausbaus – den lärmgeplagten Anwohnern und der Umwelt – wird also auch der Kreis der angeblichen ökonomischen Gewinner immer kleiner. „Vom Ausbau profitieren hauptsächlich die Fluggesellschaften und Fraport“, sagt Kaufmann. Und Firmen wie der Baukonzern Bilfinger Berger, der einen 80-Millionen-Euro-Auftrag zum Bau der Landebahn erhielt. Vorstandsvorsitzender ist dort seit letztem Jahr der ehemalige Ministerpräsident Roland Koch.
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