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Arbeitsmarkt im WandelGesucht: der arbeitende Nachwuchs

Die Berliner werden älter, die Brandenburger weniger - und Kammern und Gewerkschaften streiten darüber, wer künftig die Arbeit erledigen und die Wirtschaft am Laufen halten soll.

Her mit den Jobs: Seniorinnen werden gebraucht Bild: apn

Bis zum Jahr 2030 wird es doppelt so viele 80-Jährige in Berlin geben wie im Moment, während die Bevölkerung Brandenburgs um 12 Prozent auf 2,2 Millionen Menschen schrumpft. So die Prognose des Statistischen Landesamtes - und Kammern, Gewerkschaften und Politik sind alarmiert: Fachkräfte und Auszubildende werden in absehbarer Zeit zur begehrten Spezies. Wie aber der Nachwuchs für die Wirtschaft gesichert werden kann, darüber streiten die Protagonisten. Am Mittwoch unterzeichneten Senat, Kammern und Gewerkschaften eine Vereinbarung für bessere schulische und betriebliche Ausbildungsangebote. Tags darauf stellte die Industrie- und Handelskammer (IHK) ihre Forderungen vor - und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) watschte die Firmenvertreter dafür ab. "Darüber kann ich nur lachen", sagte die regionale DGB-Chefin Doro Zinke der taz.

Die IHK schlägt etwa vor, eine Fachkräfteagentur zur Anwerbung auswärtiger Fachkräfte einzurichten. Die Agentur könnte bei der Wirtschaftsfördergesellschaft Berlin Partner angesiedelt werden, sagte der zuständige Geschäftsführer Christoph von Knobelsdorff. Firmen sollten gezielt Studienabbrecher ansprechen, um sie als Auszubildende zu gewinnen. Ausländer und Migranten müssten leichter an einen Job kommen, etwa mithilfe von Qualifikationsmerkmalen. "Ohne Zuwanderung wird es nicht gehen", sagte der Experte.

Parallel dazu sollen sich Unternehmen und Schule um den Nachwuchs kümmern. "Wir müssen vor allem die Jugendlichen mit Startschwierigkeiten fit für eine Ausbildung machen", sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder. Er schätzt, dass 15 Prozent aller Berliner Schulabgänger nicht ausbildungsfähig sind. Zugleich wehrte sich Eder gegen den Vorwurf, Firmen pickten sich nur die guten Abgänger heraus. Bei Nachvermittlungen zeige sich, dass nur etwa jeder dritte Angeschriebene komme. "Mein Verdacht ist, dass es die Altfälle in dieser Zahl so nicht wirklich gibt." Insofern sei die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage bei Ausbildungsplätzen wesentlich kleiner als dargestellt.

Nach Zahlen der Senatsverwaltung für Arbeit stehen in diesem Jahr knapp 42.500 Bewerbern fast 46.000 Ausbildungsplätze gegenüber. Zu den Bewerbern zählen fast 20.000 Altfälle, also Ausbildungswechsler, Abgänger aus berufsvorbereitenden und ähnlichen Maßnahmen. "Jugendliche halten nur einen bestimmten Grad an Frustration aus", konterte DGB-Chefin Zinke das Bild vom ausbildungsresistenten Nachwuchs. Sie habe bei Nachvermittlungen erlebt, dass überhaupt nicht auf die individuellen Biografien von jungen Menschen eingegangen und diese demotiviert worden seien.

Zinke verwies darauf, dass weniger als die Hälfte der angebotenen Ausbildungsplätze betrieblich seien - ihrer Meinung nach ein fatales Zeichen der Arbeitgeber. "Wenn man den Jugendlichen jetzt signalisieren würde, es sind Ausbildungsplätze da, dann kämen sie auch." KRISTINA PEZZEI

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