■ Arbeitslosigkeit hoch wie noch nie: Auf zu neuen Ufern!
Ende der fünfziger Jahre hatte man wenigstens noch einen Schuldigen für die vielen Arbeitslosen: die bösen Kommunisten, die im Schaufenster der freien Welt das Licht ausknipsen wollten und damit Investoren abschreckten. Heute ist das vor allem hausgemacht. Zu lange hat der Senat der rapiden Vernichtung der industriellen Arbeitsplätze in Ostberlin zugeschaut und sich damit beruhigt, daß dort sozialistische Altlasten abgebaut werden. Den strukturellen Wandel der Industrielandschaft hat man erst zur Kenntnis genommen, als auch die Zahl der Arbeitsplätze in der Metall- und Elektroindustrie im Westteil abnahm. Die beschworene Zukunft als Dienstleistungsmetropole hat kaum Gestalt angenommen und ist ähnlich nebulös wie die Hoffnung auf den arbeitsplatzschaffenden Effekt des Regierungsumzugs – von der geplatzten Seifenblase Olympia ganz zu schweigen. Wer zu lange von einer rosigen Zukunft geträumt hat, dem läuft nun die Zeit weg. Die über 210.000 Arbeitslosen jedenfalls können sicher nicht bis zur Jahrtausendwende warten. Zudem wird der geplante Abbau von 25.000 Stellen in der Verwaltung wohl kaum als zukunftsweisende Arbeitsmarktpolitik gelten. Die Pläne zeigen nur auf, daß die CDU nicht gewillt ist, neue Wege zu suchen. Und die SPD widerspricht nicht, solch einfallslose Sparkonzepte zu exekutieren. Auch auf das segensreiche Wirken von Großkonzernen zu hoffen ist längst obsolet geworden. Die kürzlich bekanntgewordene Schließung des AEG-Bahnwerks – obwohl der Konzern vor zehn Jahren noch viele Steuer-Millionen für die Modernisierung seiner Produktion erhielt – illustriert dies aufs böseste. Ohne neue Beschäftigungsmodelle im öffentlichen Dienst, ohne eine unkonventionelle Förderung von neuen Unternehmungen und ohne neue Instrumente der Arbeitsförderung wird es nicht gehen. Die Zukunft der Stadt zu entwickeln bedeutet auch, Strukturpolitik im besten Sinne zu machen und jene Technologien zu fördern und anzusiedeln, die Berlin zu einer ökologischen und umweltverträglichen Muster-Metropole machen können. Dafür wären die Olympia-Millionen weit besser angelegt gewesen. Die Arbeitssenatorin Christine Bergmann (SPD) weiß um den Zwang zu neuen Lösungen, hat Gedanken dazu entwickelt und einiges auf den Weg gebracht. Zugleich aber ist sie zu zaghaft und läßt sich bremsen von einer auf Koalitionsfrieden bedachten SPD-Spitze. Doch ohne den Streit mit der CDU wird sich nichts ändern – nur die Arbeitslosenzahlen werden weiter steigen. Gerd Nowakowski
Siehe Bericht auf Seite 19
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