: Arbeitslosen-Standort Deutschland
■ Arbeitsplatzkampf bei der Dasa / Daimler mit Milliarden-Minus / Experten wittern Aufschwung
Bremen/Bonn (AP/AFP/dpa/taz)
Der drohende Verlust ihrer 1.136 Arbeitsplätze hat die Beschäftigten des Aircraft Service Centers der zum Daimler-Benz Konzern gehörenden Deutschen Aerospace (Dasa) in Lemwerder bei Bremen in Bewegung gesetzt. Gestern hielten rund 25 Beschäftigte vor den Toren Wache. Ein Betriebsratsmitglied erklärte, die Kolleginnen und Kollegen wollten verhindern, daß Maschinen in andere Werke gebracht würden und die Belegschaft ausgesperrt werden könnte. Seit Freitag nachmittag hatten sich insgesamt rund 4.000 Menschen an den Protestaktionen beteiligt und unter anderem auch eine Autobahn und Fähren über die Weser blockiert.
Am Samstag waren etwa 400 Mitarbeitende zum SPD-Landesparteitag in Bremen-Nord gezogen. Der Bremer Bürgermeister Klaus Wedemeier wies das Wort von Bundeskanzler Helmut Kohl über den „Freizeitpark Deutschland“ entschieden zurück. Die Mitarbeiter von Klöckner oder auch der Deutschen Aerospace verzichteten gerne auf den Freizeitpark, wenn sie ihre Arbeitsplätze erhalten könnten.
Der Lemwerder Bürgermeister, SPD- Abgeordneter in Niedersachsen und Betriebsrat des Werkes, Karl Heinz Beckmann, ergriff das Wort und sagte, die geplante Schließung des Werkes spiele sich in einer bisher ungekannten Form ab. Die Entscheidung sei weder an den Betriebsrat in Lemwerder noch an den Gesamtbetriebsrat oder den Aufsichtsrat herangetragen worden.
Noch vor 14 Tagen habe die Geschäftsleitung einen Aushang mit Glückwünschen zu einem Auftrag für den Umbau von 13 Passagierflugzeugen in Frachtflugzeuge ans Schwarze Brett gehängt, sagte Beckmann. Am Freitag nachmittag war die Belegschaft von der Nachricht überrascht worden, daß dieser Auftrag an das Hamburger Werk vergeben und ein Zehnjahresvertrag mit Hapag-Lloyd gekündigt worden sei. Beckmannn kündigte an, daß der Betriebsrat Strafanzeige gegen die Unternehmensführung stellen werde, weil sie das Betriebsverfassungsgesetz mißachtet habe.
Nach Informationen des Spiegel wird die Dasa in diesem Jahr Verluste in Höhe von 800 Millionen Mark erwirtschaften. Der Daimler-Benz-Konzern erwarte, so das Nachrichtenmagazin in seiner heute erscheinenden Ausgabe, in diesem Jahr beim internen Betriebsergebnis einen Verlust von 3,9 Milliarden Mark. Der Verlust falle bei der Tochtergesellschaft Mercedes-Benz mit 2,8 Milliarden Mark minus besonders drastisch aus. Das Ergebnis sei nicht nur deshalb so schlecht, weil der Absatz vor allem der gewinnträchtigen Modelle gesunken sei, sondern auch wegen Rückstellungen von über einer Milliarde Mark für den geplanten Personalabbau. Eine Besserung der Ergebnisse in der Autosparte ist dem Spiegel zufolge nicht in Sicht, weil die Verminderung der Beschäftigtenzahl auch im nächsten Jahr mehr als eine Milliarde Mark kosten werde.
Doch nicht nur Daimler wird weiter zum Anstieg der Arbeitslosigkeit beitragen. Der Volkswagenkonzern will seine noch verbliebenen rund 100.000 Stellen auch mit kürzeren Arbeitszeiten über die Absatzkrise der Autoindustrie retten. VW-Sprecher Otto Ferdinand Wachs sagte in Wolfsburg: „Im Management wird gegenwärtig über jedwede Form der Absicherung der Arbeitsplätze diskutiert und dies beinhaltet auch mögliche andere Arbeitszeitmodelle, zum Beispiel die Vier- Tage-Woche. Wir werden uns dazu aber erst näher äußern, wenn die Diskussion auch mit dem Betriebsrat beendet ist.“
Die Belegschaft soll Wachs zufolge im nächsten Jahr von derzeit knapp 108.000 auf 100.000 Beschäftigte verringert werden. Dies hätten Betriebsrat und Unternehmensleitung bereits vereinbart. Wachs sagte, schon Ende dieses Jahres werde VW nur noch 103.000 Mitarbeiter haben – ein Abbau, der mit sozialverträglichen Maßnahmen wie Altersregelungen oder Aufhebungsverträgen und einem Einstellungsstopp erreicht werde. Auch eine Belegschaft von 100.000 Menschen könne aber voraussichtlich nur mit „bisher bewährten Mitteln der Arbeitsplatzsicherung wie zum Beispiel Kurzarbeit in ihrer Höhe abgesichert werden, um ein derartiges Horrorszenario zu vermeiden“.
Indessen haben die sechs führenden Wirtschaftsinstitute wieder einmal den baldigen Aufschwung ausgemacht. Im kommenden Jahr, so geht aus dem heute in Bonn präsentierten Herbstgutachten hervor, soll die deutsche Wirtschaft wieder um 1,5 Prozent wachsen. Die Massenarbeitslosigkeit wird davon jedoch nicht gemildert: Sie soll laut den Konjunkturforschern um 360.000 auf insgesamt 3,77 Millionen anwachsen.
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