Arbeitskampf: Nur Zweiräder stehen nicht still
Ab Montag fällt der öffentlichen Nahverkehr weitgehend aus. Nicht nur die BVG, auch die S-Bahn wird bestreikt.
Berlin steht vor dem größten Streik im öffentlichen Nahverkehr seit Jahrzehnten. Nicht nur die U-Bahnen, Busse und Trams der BVG bleiben in der kommenden Woche in den Depots. Auch die S-Bahn fällt wegen der bundesweiten Lokführerstreiks ab Montag zum Großteil aus. Die Bahn, zu der die S-Bahn gehört, teilte am Freitag mit, dass die Züge nach einem Notfahrplan nur im 60-Minuten-Takt verkehren werden. Auf dem Ring könne möglicherweise alle 30 Minuten, auf der Stadtbahn alle 15 Minuten eine S-Bahn fahren. Auf Regionalzüge auszuweichen ist schwierig: Die Bahn könne nur 10 Prozent des Angebots sichern, hieß es. Der Notfahrplan werde am Montag in jedem Fall gelten, auch wenn die Lokführerstreiks noch abgesagt werden sollten.
Die Polizei warnt vor Staus auf den Straßen. Das Chaos ist programmiert: Die Landeselternvertretung fordert deshalb von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD), die Schulpflicht aufzuheben. Doppelt und dreimal so lange Schulwege wie sonst seien den Jugendlichen nicht zuzumuten. Die Schulverwaltung lehnte das am Freitag ab. Die Schulpflicht bestehe weiterhin, sagte eine Sprecherin. Allerdings müssten die Eltern selbst entscheiden, welche Belastungen für ihre Kinder tragbar seien.
An vielen Schulen haben Lehrer Fahrgemeinschaften gebildet, um den Unterricht zu gewährleisten. Auch Kitas sollen geöffnet haben, bestätigten Mitarbeiterinnen sowohl von Kommunen als auch privater Träger. Einzelne Kitas bitten die Eltern trotzdem, die Kinder am Montag zu Hause zu behalten.
Der umfassende Streik im Nahverkehr werde auch erhebliche volkswirtschaftliche Schäden verursachen, warnte die Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin und Brandenburg. Beschäftigte, die nicht zur Arbeit erschienen, müssten Verdienstausfälle hinnehmen. Sie sind arbeitsrechtlich verpflichtet, pünktlich zu kommen. Für all jene, die nicht ins Auto oder auf das Rad steigen können, ist das kaum machbar. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer arbeiten allein 160.000 Brandenburger in Berlin, 61.000 Berliner wiederum pendeln jeden Tag nach Brandenburg.
Wie an Schulen haben auch an den Universitätskliniken Charité und Benjamin Franklin die Mitarbeiter zur Selbsthilfe gegriffen. "Unter den Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern herrscht ein großes Engagement, sich gegenseitig zu unterstützen", sagte Kerstin Endele, Pressechefin der Charité. Die Klinikleitung habe im krankenhausinternen Intranet eine Mailadresse für eine Mitfahrzentrale des Personals aufgebaut. Patienten müssen entweder ihre Termine verschieben oder zu Fuß, mit dem Rad, dem Auto oder dem Taxi fahren. Endele beschwichtigt: "Im Notfall kommt aber wie üblich der Krankenwagen."
Wie lange die S-Bahn bestreikt wird, ist völlig offen. Die Beschäftigten der BVG wollen am Freitag entscheiden, wie es mit den Arbeitsniederlegungen weitergeht.
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