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Archiv-Artikel

DIESMAL STEHT DIE ÖFFENTLICHKEIT AUF DER SEITE DER STREIKWILLIGEN Arbeitgeber leiden unter dem Aufschwung

Frau Öffentlichkeit sitzt auch diesmal wieder mit am Verhandlungstisch von IG Metall und Arbeitgebern. Sie war im vergangenen Jahr nicht gerade gut auf die Gewerkschaften zu sprechen. Sie hat die Funktionäre als Blockierer gescholten, als es um Kanzler Schröders Agenda 2010 ging. Sie hat die IG Metall nicht einmal ansatzweise verstanden, als diese den Osten wegen der 35-Stunden-Woche in den Streik schickte und die eigentliche Sorge der Arbeitnehmer um den Arbeitsplatz ignorierte. In der laufenden Tarifrunde aber ist Frau Öffentlichkeit seltsam milde gestimmt mit der IG Metall. Hat sie denn überhaupt keine Prinzipien? Doch.

Die momentane Gemengelage lässt sich mit drei Stichwörtern beschreiben: Mannesmann, Praxisgebühren, Arbeitszeit. Anhand dieser drei Themen lässt sich ableiten, warum die Positionen der IG Metall diesmal auf einen fruchtbaren öffentlichen Boden fallen. Der Mannesmann-Prozess um Provisionen bedient das Bild von der Habgier der Manager, Aufsichtsräte und Vorstandsvorsitzenden. Die Einführung der Praxisgebühren führt die Einschnitte der rot-grünen Reformen vor Augen – wenn auch mit zehn Euro nur symbolisch. Und dann sollen die Arbeitnehmer auch noch mehr arbeiten? Nein. Das Bedrohungsszenario einer 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich verfängt. Denn darin ist der Versuch der Arbeitgeber zu erkennen, Kosten ausschließlich auf dem Rücken der Arbeitnehmer zu senken. Zumal der beginnende Aufschwung die Kampagne der Arbeitgeber verhagelt. Warum Kosten senken, wenn es der Wirtschaft wieder besser geht?

Die Zustimmung, die die Gewerkschaft derzeit erhält, entspringt durchaus einer rationalen Überlegung. Das Reformjahr 2003 war das Jahr der Entbehrungen und Einschnitte, jetzt aber will jeder endlich wieder partizipieren und sich nicht noch einmal in die Taschen greifen lassen. Die Arbeitgeber müssen sich mehr einfallen lassen, als nur auf die Wettbewerbsfähigkeit zu verweisen und mit Abwanderung von Firmen zu drohen – sonst wird Frau Öffentlichkeit selber mit der Trillerpfeife vor den Werkstoren stehen. THILO KNOTT