■ Arbeitgeber kündigen erstmalig Tarifverträge: Abschied vom alten Spiel
Die militärische Kampfsprache verrät die Hysterie: Als „Notschrei“ in einer „dramatischen Lage“, in einem „Überlebenskampf“, rechtfertigen die Metall- Arbeitgeber ihre erstmalige Kündigung von Tarifverträgen. „Erpressung“, „doppelter Raubzug an Arbeitnehmereinkommen“, giftet die IG Metall.
Je lauter geschrien wird, desto wichtiger die kühle Analyse. Was ist eigentlich wirklich passiert? Die Arbeitgeber haben erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik von sich aus zum Jahresende die Tarifverträge über Lohn und Gehalt und Urlaubsregelungen gekündigt. Üblicherweise kündigten die Gewerkschaften sonst die Lohn- und Gehaltstarife. Faktisch hat also nur die Kündigung der Urlaubsregelungen eine Bedeutung. Denn damit stehen jetzt Urlaubsdauer und -geld auf dem Prüfstand. Die Kündigung der Lohntarife dagegen ist vor allem ein symbolischer Akt: kämpferisches Signal der Arbeitgeber. Trommelwirbel, der erfolgreich suggeriert, daß eine der „härtesten Tarifauseinandersetzungen“ in der Nachkriegsgeschichte bevorsteht. Wirklich? Tatsächlich ist doch das Gegenteil der Fall. Selten konnte sich die Metallindustrie einen Arbeitskampf so wenig leisten wie jetzt. Die Branche steckt in einer Rezession mit Massenentlassungen und Absatzschwierigkeiten. Die härteste Schlacht um wirtschaftliche Umverteilung tobt längst weniger auf der nationalen als auf der internationalen Ebene. Warum also die lärmende Aufrüstung durch die Tarifpartner? Wo es weniger zu verteilen gibt, da wird heftiger gestritten, das ist klar. Aber das hysterische Brustgetrommel soll auch der eigenen Mitgliedschaft imponieren. Wie sonst kann die IG Metall die Arbeitnehmer überzeugen, daß sie alles getan hat, um eine Einbuße beim Realeinkommen zu verhindern? Wie sonst kann der Arbeitgeberverband seinen murrenden Unternehmern verdeutlichen, daß er mit allen Mitteln gekämpft hat, um Kostenentlastungen durchzusetzen?
Natürlich wird es auch hier echte Kriegsgewinnler geben: prosperierende Betriebe, die von niedrigen Abschlüssen in der Krise profitieren. Tatsache ist aber auch: Selten war eine konstruktive Zusammenarbeit der Sozialpartner so notwendig wie heute. Und erste leise Töne sind dazu auch zu vernehmen: Unter der Hand werden von Gewerkschaft und Arbeitgebern schon erstaunlich kompromißfähige „beschäftigungsichernde“ Regelungen für gefährdete Betriebe ins Gespräch gebracht, wie zum Beispiel befristete Freistellungen. Auch sitzen beispielsweise im Werkzeugmaschinenbau schon längst Arbeitskreise aus Gewerkschaftern und Unternehmern zusammen, um über Produktivitätsverbesserungen zu diskutieren. Das ist wenig, aber real. Alles andere Trommelwirbel. Barbara Dribbusch
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