Der Faire Handel ist hier wohl eher Auslöser, da in dieser Sparte "erst recht nicht sein darf", was woanders „nur“ unmoralisch ist.
Ich höre eher heraus, dass sich Unternehmer und Angestellte generell austauschen sollten, um ihre Positionen anzunähern - ... nicht ohne auf die konkreten Vorwurfs-Punkte einzugehen!
Ca. 90% aller Unternehmen in Deutschland sind kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), zum größten Teil ohne Betriebsräte.
Sie versorgen dieses Land mit Arbeitsplätzen und Steuergeldern, ernähren indirekt den größten Teil der Arbeitslosen, Rentner, Kranken und Behinderten.
Sie erzielen jedoch jeweils nur geringe Umsätze im Verhältnis zu Großunternehmen und werden daher nicht im „DAX“ oder anderen „Charts“ genannt.
Auch Contigo gehört dazu.
Somit kann man Herrn Herbst und seinen klagenden Angestellten eigentlich nur dankbar für diesen kleinen Auslöser sein.
Dieser sehr emotionalen Diskussion möchte ich Fakten hinzufügen, die zum Verständnis der beiden Seiten beitragen sollen:
1. Kleinere und mittlere Unternehmen können am ehesten mit viel Sonder-Einsatz bestehen.
Sie müssen jeden Monat auf ein Neues die Kosten des Betriebes und ihre Gehälter erwirtschaften.
In 40-Stunden-Wochen ist dies i.d.R. nicht machbar, schon gar nicht, wenn eine Messe am Wochenende stattfindet oder das Weihnachtsgeschäft längere Öffnungszeiten verlangt.
2. Dieser Mehr-Einsatz kann z.B. alleine vom Inhaber geleistet werden und wird in dem Fall mit kurzfristigen Burnouts belohnt.
3. Bei Verteilung des Einsatzes auf ein Team stehen die Chancen besser, dass der Spaß bei der Sache für alle Beteiligten erhalten bleibt.
4. Lohn- und Gehaltskosten machen in Deutschland einen erheblichen, wenn nicht größten Teil der Geschäftsausgaben aus. Daher haben die meisten KMU weit weniger feste Angestellte, als sie zur Bewältigung ihres Arbeitsaufkommens benötigen. Also versorgen sie sich auf allen möglichen Umwegen mit günstigeren Arbeitskräften, während Ihnen kompetente Festangestellte lieber wären.
5. Im Einzelhandel sind 7,06 € Stundenlohn (netto) in Norddeutschland kein Hungerlohn.
Auf den Monat gerechnet kommt dies bei einer theoretischen 40-Stunden-Woche (die bei Studenten oder Aushilfskräften so nicht legal möglich wäre) auf….. 7,06 € x 40 h x 13 Quartalswochen : 3 Monate = 1.223 Euro netto.
Kosten für den Arbeitgeber: ca. 1600 Euro/Monat.
30% Aufschlag führen zu ca. 1600 Euro netto /Arbeitgeber: ca. 2000).
Ein Fest-Angestellter mit dem selben Netto-Gehalt kostet den Arbeitgeber „schlappe“ 800-1200 Euro mehr im Monat. Dafür kann er auch zwei bis drei Aushilfskräfte einstellen, …. die sich selbst versichern müssen.
6. Es gibt ein starkes Süd-Nord- und West-Ostgefälle der Gehälter in Deutschland. 1200 Euro netto sind für eine Verkäuferin in Rostock oder Berlin erfreulich, eine Verkäuferin in München oder Stuttgart könnte davon nicht leben.
7. Bei 5 Angestellen eines Betriebes müssen die Aufgaben des einen, der krank geworden ist, auf die verbliebenen 4 Leute verteilt werden.
Von 8 Fehlstunden hat jeder der 4 anwesenden Mitarbeiter einen Arbeits"gewinn" von 1-2 Stunden täglich, ... der Rest bleibt halt liegen.
8. Aufgrund der starken Angst vor Arbeitsplatzverlust sinken die Krankheitsraten in Deutschland seit Jahren. Damit steigen die Chancen, sich in einem Betrieb mit Grippe anzustecken erheblich. Die Möglichkeit, die Kollegen damit oder mit dem Jammern über Kopfschmerzen zu verschonen, indem man die Arbeitstage mit ihnen tauscht, halte ich für gesünder und produktiver!
- Geltendes Recht soll hier nicht angefochten werden!
9. (Fairtrade-)Unternehmen in Deutschland, die nicht als Vereine firmieren, können i.d.R. weder ehrenamtliche noch "1-Euro-Kräfte" in Anspruch nehmen (Weltläden eher, daher können sie günstiger kalkulieren).
10. a) Die Unternehmen sind für die Einnahme und Verwaltung von Staatsgeldern (Mehrwertsteuer, Sozialabgaben usw.) zuständig.
Dies verursacht erheblichen Verwaltungsaufwand und damit Kosten.
10. b) Filialunternehmen zahlen Beiträge an die Kammern (z.B. IHK) in JEDEM EINZELNEN Bundesland, in dem eine Filiale unterhalten wird (also bei 10 Filialen in 10 Bundesländern ist der zehnfache IHK-Beitrag gegenüber 10 Filialen in einem Bundesland fällig. Keine Ermäßigung, Berechnung nach Umsatz%).
Dies sagt nichts über die Qualität der Beratung dieser Kammern aus….
Diese politischen Modelle halte ich für überholungsbedürftig, was jedoch durch zunehmende Papierfluten von Behörden, die sich der modernen Kommunikationsmethoden enthalten, ins Gegenteil gekehrt wird.
Für die Verwaltung des behördlichen Aufwandes ist je 5-10 Angestellte ca. 1 Angestellter nötig, der von den Unternehmen bezahlt werden muss.
Manche Unternehmen sprechen von 25-40 % staatlich verursachtem Verwaltungsaufwand.
Dieser geht zulasten von Gehältern und Sonderzahlungen an die Angestellten und Unternehmer. Adieu, Urlaubsgeld.
11. Fairtrade-Unternehmen handeln in der Regel mit Dingen, "die die Welt nicht braucht", die aber durchaus die gute Laune fördern, wenn der Mensch sie erstanden hat.
12. In schlechten finanziellen Zeiten (Rezession, Finanzkrise) haben auch Fairtrade-Unternehmen Umsatzeinbrüche, die sie auffangen müssen. Dies geschieht am besten durch neue Ideen und Motivation der Mitarbeiter. Nicht jeder Unternehmer ist gelernter Mitarbeiterführer.
Im Gegenteil machen die meisten mittelständischen Unternehmer in dieser Wissenschaft grobe Fehler. Denn sie sind gelernte Kaufleute, Elektriker usw. und keine geschulten Personalführer.
13. Fairtrade- und andere KMUnternehmen werden von Banken bezüglich Kreditvergaben keinesfalls bevorzugt oder von der Bundesregierung mit besonderen Zuschüssen (Konjunkturpaketen) versorgt. In der Regel müssen sie sich ausschließlich selbst mit Liquidität versorgen.
14. Liebe Angestellte, wir würden Euch gerne das Doppelte bezahlen. …. Nur… wenn Ihr vom Wochenendurlaub zurück kommt, hatten wir meist weiter gearbeitet und konnten soooo viel dann auch nicht ohne Euch erwirtschaften….
15. Der ATO-TÜV ist, wie die Taz sehr richtig darstellt, keine Instrument zur Zertifizierung von Fair-Trade-Unternehmen, sondern lediglich ein subjektives Instrument zur Beurteilung deutscher Fairtrade-Importeure, - eine Idee des Weltladen-Dachverbandes, mit Hilfe eines umfangreichen Fragebogens nach den „Kriterien des Fairen Handels“ des Dachverbandes, der, nach den darin gestellten Fragen, auch zum Aufkauf eines Unternehmens dienen könnte.
Mit der Beurteilung durch die sog. „unabhängige Jury“ des Dachverbandes wird zur Stärkung der mittleren und großen Importeure beigetragen. Denn nur diese können mit größeren Unternehmensstrukturen die geforderten Bedingungen erfüllen. So wird ein Teil der selbst gestellten Aufgaben der Weltläden auf die Importeure abgewälzt (sog. „Informations- und Bildungsarbeit), obwohl diese sich wohl besser um die vielfältigen Aufgaben rund um ihre Produzenten kümmern sollten?
Die Aussagekraft des ATO-TÜVs ist somit unwesentlich.
Es fehlt an Realitätsnähe, an Rücksichtnahme auf die Verpflichtungen und zeitliche Auslastung der Importeure und der Jury an Auslandserfahrung.
Daher kann diese Jury nicht aussagen, ob Contigo oder ein anderer selbst- oder fremdernannter Fair-Trade-Importeur fair oder unfair handelt.
Sie kann nur ihre Meinung äußern.
Es gibt mittlerweile Dutzende von Organisationen, die für sich in Anspruch nehmen, den Fairen Handel beurteilen zu wollen.
Diese lassen sich (einschließlich ATO-TÜV) auch gerne mehr oder weniger üppig dafür bezahlen.
Denn der „Faire Handel“ hat sich zu einer gewinnbringenden Geschäftssparte entwickelt.
Nun.
Was ist fair?
Was ist moralisch einwandfrei?
Wer bestimmt oder beurteilt dies?
Wer ohne Fehl ist werfe den ersten Stein!
Ute-Barbara Lück - Fa. A la Siesta e.K.
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