Arbeiterwohlfahrt buhlt um Erbschaften: Sterben für den guten Zweck
Die Arbeiterwohlfahrt Lübeck verschickt Infoschreiben zum Thema Testament - und schlägt sich selbst als Erben vor. Der Landesverband sieht das kritisch.
HAMBURG taz | Der Kreisverband Lübeck der Arbeiterwohlfahrt (AWO) verschickt Bittbriefe, in denen er seine Mitglieder auffordert, die AWO in ihren Testamenten zu bedenken. Diesen "vielleicht ungewöhnlichen Vorschlag" unterbreitet die AWO Lübeck in einem zweiseitigen, unpersönlichen Anschreiben.
"Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht", heißt es da, "mit Ihrem Testament auch den Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt in Lübeck zu bedenken oder ihm zumindest über ein Vermächtnis in Ihrem Testament zu helfen?"
Wer "über den Tod hinaus sozial handeln" möchte, kann sich an die AWO-Geschäftsführerin Kerstin Behrendt wenden und bekommt einen Beratungstermin beim Anwalt. "Ich musste zweimal hingucken", sagt AWO-Mitglied Markus Hagge, der den Brief wenige Tage nach seinem sechsunddreißigsten Geburtstag erhielt. Inzwischen nimmt er das Ganze mit Humor.
Viele gemeinnützige Organisationen bemühen sich um Erbschaftsspenden. Deren Anteil an den Gesamtspendeneinnahmen ist unterschiedlich
Den höchsten Anteil verzeichnen kirchliche Organisationen. Der deutsche Fundraising-Verband spricht von "bis zu 50 Prozent".
Sehr wenig Erbschaftsspenden bekommen Organisationen mit jüngerer Zielgruppe. Greenpeace bekommt mit etwa sechs Prozent noch mit am meisten.
Erbschaftsmarketing nennt sich der Versuch, potenzielle Spender gezielt anzusprechen.
Den AWO-Landesverbänden Niedersachsen und Hamburg war zunächst nicht bekannt, dass einzelne Kreisverbände der AWO Bittbriefe verschicken. Andere Wohlfahrtsorganisationen geben an, auf direktes "Erbschaftsmarketing" zu verzichten.
Paul Herholz vom Deutschen Roten Kreuz in Schleswig-Holstein kann sich nicht vorstellen, direkt um Erbschaftsspenden zu werben. Dies sei für viele ein "sensibles Thema". Gemeinnützige Organisationen hätten schließlich öfter mit alten Menschen und dem Tod zu tun.
Jürgen Markmann von der AWO Lübeck sagt, dass "finanzielles Erbschaftsmarketing" wichtig sei, um neue Projekte bezahlen zu können. Auch andere Wohlfahrtsorganisationen würden um den Nachlass ihrer Mitglieder werben: "Die Aufforderungen sind fast gleichlautend. Der Unterschied ist, dass wir einen neuen, direkten Weg gewählt haben."
Der Sprecher des Deutschen Fundraising Verbands Thomas Röhr bestätigt, dass sich viele gemeinnützige Organisationen um Erbschaftsspenden bemühen und auf Anfrage entsprechende Informationen weitergeben. Allerdings sei ihm bisher kein Fall bekannt, in denen Organisationen direkt um Erbschaftsspenden gebeten hätten.
Mittlerweile hat auch der AWO-Landesverband Schleswig-Holstein Stellung bezogen: Die Art und Form der Aufforderung entsprächen nicht dem Grundverständnis der Arbeiterwohlfahrt und würden vom Landesverband "nicht geteilt und nicht für gut befunden", lässt der Landesvorsitzende Heinz Welbers mitteilen.
Spendenaktionen müssten auch weiterhin "auf dem Leitgedanken der Freiwilligkeit" beruhen - so steht es in der dazugehörigen Pressemitteilung, die der Landesverband am Mittwochabend herausgeschickt hat. Darin steht auch der gute Rat: "Ein sensiblerer Umgang mit dem Thema Nachlasswerbung und Testamentsverfügung wäre in diesem Fall mit Sicherheit erforderlich gewesen."
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