Arbeiterführer außer Dienst

Seinen heutigen 59. Geburtstag hätte Jürgen Rüttgers gern anders gefeiert. Dass er zusammenfällt mit dem Ende seiner politischen Karriere, hätte Helmut Kohls einstiger Zukunftsminister nicht einmal in seinen Träumen gedacht. Donnerstagabend kündigte der nordrhein-westfälische Nochministerpräsident und CDU-Landeschef seinen Rückzug von allen Ämtern an.

Rüttgers stammt aus tiefster rheinischer Provinz. Seine Sozialisierung verlief streng katholisch und konservativ. Während andere seiner Generation auf die Barrikaden gingen, trat der Elektrikersohn 1970 in die CDU ein. Hier machte Rüttgers die Ochsentour: vom Pulheimer Stadtrat bis in den Bundestag, vom Landesvorsitzenden der Jungen Union bis zum Vizechef der Bundes-CDU. Von Helmut Kohl 1994 zum Zukunftsminister gemacht, wechselte der promovierte Jurist nach dem Regierungsverlust vier Jahre später in die Landespolitik. Als CDU-Landesvorsitzender gelang ihm, woran sein Vorgänger Nobert Blüm noch gescheitert war: die notorisch zerstrittenen Westfalen und Rheinländer in der Union auf eine Linie einzuschwören.

Der taktisch versierte Rheinländer war ein Politiker mit viel Fassade. Wofür er tatsächlich stand, wusste niemand so genau. Auch seine Selbststilisierung zum sozialen Gewissen der Union beruhte weniger auf politischen Überzeugungen denn auf kühler Analyse: Mit marktradikalen Sprüchen à la Friedrich Merz lassen sich an Rhein und Ruhr keine Wahlen gewinnen. Rüttgers setzte auf ein breites Angebot: Mit seiner Anti-Hartz-IV-Rhetorik zielte er auf traditionelle SPD-Wähler, das bürgerrechtlich-liberal geprägte Großstadtmilieu umwarb er mit einer modernen Integrationspolitik, und die klassisch-konservative Stammwählerschaft bediente er mit seiner steinzeitlichen Schulpolitik. Die Landtagswahl am 9. Mai schien nur eine Formsache zu sein. Doch dann bescherten der desaströse Zustand von Schwarz-Gelb im Bund und mehrere Affären das schlechteste CDU-Wahlergebnis der Landesgeschichte. Mehr als sechs Wochen danach hat nun auch Rüttgers eingesehen, dass seine Zeit abgelaufen ist. PASCAL BEUCKER

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