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■ Arafat und die PLO ziehen endgültig nach Gaza umJetzt geht es ans Eingemachte

Nun ist er doch tatsächlich umgezogen. Nach monatelangem Hin und Her verlegt PLO-Chef Arafat seinen Wohnsitz und seine Amtsgeschäfte endgültig ins palästinensisch-autonome Gaza. Die Zeit der historischen Unterschriftszeremonien und Kurzbesuche ist vorbei. Jetzt geht es ans Eingemachte.

Der historische Putz bröckelte bereits bei Arafats erstem Besuch in Gaza und Jericho vor einer Woche. Die erwartete Massenhysterie angesichts des zurückgekehrten Befreierkampf-Idols Arafat blieb aus. Da war nur Neugierde, wie er denn nun in natura aussieht, und da blieb die Hoffnung auf bessere Zeiten. Die Tänze auf den palästinensischen Straßen sind seit den Scud-Raketen auf Tel Aviv während des Golfkrieges und seit dem Abkommen von Oslo letzten September sichtlich verhaltener geworden.

Vorbei die Zeiten, in denen allein Worte wie „Neuanfang“ Begeisterungsstürme bei den hoffnungslosen ewigen Verlierern in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Gaza-Streifen hervorriefen: eine durchaus positive Entwicklung hin zu einer realistischen Denkweise, bei der skeptisch auf Konkretes und Greifbares gewartet wird.

Etwa auf die Rückkehr aller Gefangenen, die derzeit noch in israelischen Gefängnissen sitzen, auf den Ausbau der rudimentären Infrastruktur, auf Arbeitsplätze und auf den Rückzug der israelischen Armee aus dem Rest des Westjordanufers.

Ersteres wird sich wohl am ehesten verwirklichen lassen und sollte auch mit etwas mehr Druck von außen durchgesetzt werden. Es ist einfach ein Unding, daß immer noch Menschen in israelischen Gefängnissen für die Mitgliedschaft an Organisationen, die durch Oslo längst legalisiert wurden, einsitzen. Ganz offen werden diese politischen Gefangenen als Verhandlungsmasse für weitere Verhandlungen benutzt. Böse Zungen ziehen gar den Vergleich zu den westlichen Geiseln im Libanon.

Die Frage der Infrastruktur hingegen ist einzig eine Frage des Geldes – und das fließt bisher trotz zahlreicher Versprechungen nur tröpfchenweise. Ausschlaggebend ist dabei, an wen es denn nun eigentlich ausgezahlt werden soll. Arafat bevorzugt eine direkte Überweisung auf das Konto des neuen palästinensischen Finanzministeriums. Die Geldgeber dagegen wollen ihr Geld für konkrete Projekte ausgeben, die, wenn möglich, unter der Obhut nichtstaatlicher Organisationen stehen. Beides hat etwas für sich. Eine vollkommen blanke palästinensische Verwaltung fördert sicherlich nicht das Vertrauen in den Friedensprozeß. Andererseits, wer will schon das Geld im Rachen einer völlig undurchsichtigen Verwaltung verschwinden sehen, zumal Arafats Fatah, der größten Organisation innerhalb der PLO, der Ruf des Opportunismus und der Korruption anhängt?

Doch das alles gilt nur für die Palästinenser in Gaza und Jericho. Was den Rest der Bewohner der Westbank angeht, so hat sich bisher für sie herzlich wenig geändert. Mehr als vier Monate nach dem Massaker in Hebron ist es immer noch die israelische Armee, die die Straßen der Stadt kontrolliert. Hier horcht man vor allem dann auf, wenn von der zweiten Phase des Abkommens die Rede ist. In dieser nächsten Phase soll sich die israelische Armee aus den Dörfern und Städten des Westjordanlandes zurückziehen, während die Palästinenser freie Wahlen abhalten. Der palästinensische Chefunterhändler und Planungsminister Nabil Schaath erwartet diesen Schritt innerhalb der nächsten drei Monate. Bei den Palästinensern hat Schaath den Beinamen „der ewige Optimist“.

Bisher wurde noch kein einziger Zeitplan seit Oslo eingehalten. Die dort festgelegten Daten dienen wohl eher als schmuckes Beiwerk denn als obligatorisches Ultimatum. So wird auch hier nun wieder langsam getreten werden. Nach dem Motto: Erst einmal darüber reden – und das dauert eben. Am Montag fingen die Verhandlungen in Kairo an. Fortsetzung folgt.

So gewinnt der israelische Ministerpräsident Rabin Zeit, sich zunächst der „guten Führung“ der Prototypen der palästinensischen Autonomiegebiete in Gaza und Jericho zu versichern. Ohnehin hat sich gezeigt, daß seine Regierung auf wackligen Beinen steht. Die letzten Wahlen zur israelischen Gewerkschaftsbewegung Histadrut hat dieser Tage immerhin das erste Mal in deren fast 70jähriger Gewerkschaftsgeschichte kein Vertreter von Rabins Arbeiterpartei gewonnen. Also gilt es zunächst einmal zu Hause aufzuräumen.

Und dann schwelgt der israelische Blick in die weitere Ferne geradewegs über die autonomen Gebiete hinweg. Der israelische Außenminister Peres wird nächste Woche erstmals hochoffiziell das Nachbarland Jordanien besuchen. Es scheint, als wendet die israelische Regierung derzeit mehr Energie auf, mit Jordanien ins reine zu kommen. Im haschemitischen Königreich nimmt niemand mehr allzuviel Rücksicht auf die Brüder und Schwestern am anderen Ufer des Jordans. Noch immer ist man im Palast verstimmt über Arafats Alleingang in Oslo. Die versprochenen 2,4 Milliarden Dollar für die palästinensische Autonomie könnte man auch hier ohne weiteres gebrauchen, um die heruntergekommene Wirtschaft zu sanieren.

Die größte Sorge der Palästinenser ist derzeit, von der Geschichte als „erledigt“ abgehakt zu werden. Die Kamerateams, die monatelang auf Arafats Einzug warteten, sind inzwischen wieder nach Hause gefahren. Der palästinensisch-israelische Konflikt scheint mit einigen Händedrücken visuell für beendet erklärt. Das schlimmste Szenario wäre nun eine Situation, in der Gaza und Jericho zuerst und zuletzt stehen würde und Arafat, ohne durch Wahlen legitimiert zu sein, diktatorisch über sein kleines palästinensisches Homeland herrscht.

Während sie die Straßen nach Jericho blockierten, wo Arafat sprechen sollte, entwarfen die radikalen israelischen Siedler ein anderes Szenario – ihren persönlichen Alptraum. Sie klagen Rabin an, den Grundstein für einen palästinensischen Staat neben Israel gelegt zu haben. Unter ihnen geht die Furcht um, daß die israelische Regierung das Westjordanland aufgeben wird und selbst im Falle Jerusalems Zugeständnisse an die Palästinenser machen wird. Hoffen wir in diesem Falle einmal, daß die Siedler recht haben. Karim El-Gawhary, Kairo

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