Arabische Revolutionen: Glück des Wandels
Was wollen die Aufständischen? Im Haus der Kulturen der Welt in Berlin suchen arabische Autoren und Nahost-Experten nach Motiven - voller Euphorie und Skepsis.
BERLIN taz | Eine Veranstaltung am Sonntag im Haus der Kulturen der Welt über den Wandel in den arabischen Staaten ließ die Hoffnung zu, mehr über die jüngsten Vorgänge in den Nordafrikanischen Staaten und den Ländern am Persischen Golf zu erfahren, als man gemeinhin von den hiesigen Medien übermittelt bekommt. Denn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Podium waren zumeist Einheimische, die aktiv an den Aufständen mitgewirkt hatten.
Bekannte Autoren wie der Ägypter Chalid al-Chamissi ("Im Taxi. Unterwegs in Kairo") und Boualem Sansal ("Das Dorf des Deutschen") aus Algerien sprachen vom Aufbruch in eine neue Epoche. Bei allen TeilnehmerInnen aus den arabischen Ländern war die Euphorie der letzten Monate über die erzielten Erfolge, vor allem in Ägypten und Tunesien, noch deutlich vernehmbar, aber zugleich auch eine gewisse Skepsis und Ratlosigkeit über die Zukunft.
Selbstverständlich sind, wie der deutsche Nahost-Experte Volker Pertes feststellte, die Voraussetzungen in den arabischen Staaten für einen grundlegenden Wandel völlig unterschiedlich. Während die Regime in Tunesien und Ägypten sich kompromissbereit zeigten und Husni Mubarak und Ben Ali letztendlich dem Druck des Aufstands nachgaben, scheint der libysche Despot Muammar al-Gaddafi entschlossen, sein Regime bis zum letzten Blutstropfen verteidigen zu wollen. In Syrien und Algerien sitzen die Machthaber noch fest im Sattel, dem Regime in Bahrain sind arabische Nachbarstaaten zu Hilfe geeilt.
Aber selbst in Ägypten und Tunesien, wo es den Aufständischen gelungen ist, die Diktatoren davonzujagen, sind wichtige Fragen offen, auf die auch die Teilnehmer der Veranstaltung keine befriedigende Antwort geben konnten. Zum Beispiel darauf, ob sich in diesen Staaten tatsächlich bereits mit dem Rücktritt von Mubarak und Ben Ali ein grundlegender Wandel vollzogen hat. Kann man in Ägypten von einer gelungenen Revolution sprechen, wenn die Armee, Mubaraks Hauptstütze, noch alle Fäden in der Hand zu halten scheint?
Ungeklärt blieben bei der Diskussion auch die eigentlichen Ziele der Aufständischen. Mich erinnerten manche Redebeiträge an die ersten Monate nach der Revolution von 1979 im Iran. Auch wir schwelgten damals in Begeisterung über den errungenen Sieg, über den Sturz der Monarchie mit dem Schah an der Spitze. Fast fünfundneunzig Prozent der Iraner waren sich damals in der Ablehnung des Schahs einig. "Nieder mit dem Schah-Regime", riefen Millionen aus voller Überzeugung. Der Aufstand richtete sich gegen ein korruptes, vom Ausland abhängiges Regime, gegen rigorose Zensur, Geheimdienste, Polizei und Armee. "Freiheit und Unabhängigkeit" war die Parole der Revolution. Doch über die Frage, wie diese Ziele erreicht werden sollten, wie eine freie, unabhängige Gesellschaft aufgebaut werden könne, lagen die Vorstellungen der politischen Strömungen um Welten auseinander. Dass letztendlich die Islamisten den Sieg davontrugen, konnten wir uns damals nicht einmal in unseren schlimmsten Albträumen vorstellen.
Die heutige Lage in den arabischen Staaten ist mit der damaligen Situation im Iran nicht vergleichbar. Aber eine Klarheit über den Weg in die Zukunft herrscht auch hier nicht. Westliche Medien sprechen von einem Demokratisierungsprozess, ohne genauer zu untersuchen, ob die Voraussetzungen für diese Staatsform in den arabischen Ländern gegeben sind und ob die Massen der Aufständischen ein solches System überhaupt anstreben.
Man sollte es grundsätzlich unterlassen, jede Bewegung in anderen Teilen der Welt in Formen hineinzupressen, die im Westen vorgefertigt worden sind. Demokratie ist eine Staatsform, die im Laufe eines langen Prozesses basierend auf einer bestimmten Geschichte und Kultur im Westen zustande gekommen ist. Sie ist keine Exportware. Daher wäre es vielleicht eher angebracht, im Zusammenhang mit den Volkserhebungen in den arabischen Staaten über die Menschenrechte zu sprechen. Diese Rechte sind universal. Es gilt sie auf der Basis der historischen und kulturellen Gegebenheiten durchzusetzen. Das setzt aber nicht zuletzt auch eine grundlegende Reform des Islam voraus. Solange eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, Kultur und Religion nicht stattgefunden hat, werden sich die Menschenrechte nicht durchsetzen lassen. Das ist die Erfahrung, die wir Iraner unseren arabischen Nachbarn vermitteln können. Die Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt ließ uns Außenstehenden einen Hauch von dem Glück über den sich abzeichnenden Wandel spüren, die Fragen über die Zukunft und den künftigen Weg blieben offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag