Apachenromantik in Arizona: Winnetous Heimkehr
Aus Radebeul importiert sind die Ausstellungsstücke im Museum von Cochise in Arizona. Zu Besuch im echten Wilden Westen.
„Ein Marterpfahl? Was soll denn das sein? Gefangene wurden damals einfach an einen Baum gefesselt“, sagt Jesus, der Apache. Und kam es vor, dass sie gefoltert wurden? „Oh ja, natürlich, mit Agavenspitzen, die unter die Fingernägel getrieben wurden. Oder ihnen wurden die Fußsohlen abgeschnitten“, erklärt Jesus. Jesus und Charlie führen die Gäste der Apache Spirit Ranch zu den Dragoon Mountains.
Die Drachenberge liegen in Cochise County, Arizona, an der Grenze zu Mexiko, benannt nach Cochise, dem letzten großen Häuptling der Apachen. Er ist hier, irgendwo unter den roten Felsen, begraben. Jesus ist, wie Cochise, ein Apache vom Stamm der Chiricahua, Charlie ist Yaqui. Yaqui gehören weitläufigst zu den Azteken; sie haben lange gegen die Spanier gekämpft, so wie die Apachen gegen die Anglos.
In den Drachenbergen türmen sich gewaltige rötliche Felsbrocken zwischen Kakteen und Agaven. Auf einigen finden sich Felszeichnungen, mehr als 3.000 Jahre alt: Schamanen mit Speeren, Sterne, eine stilisierte Milchstraße. Sie stammen nicht von den Apachen, die erst vor tausend Jahren kamen, aus dem Norden. „Damals haben hier die Anazasi gelebt und die Zuni“, erklärt Charlie. „Die Zuni“, sagt Jesus, „nannten sich Menschen des blauen Lichts. Sie glaubten, sie stammen von den Sternen ab.“ „Nachts“, sagt Charlie, „kann man hier manchmal die ’Caretaker‘ singen hören, die unsichtbaren Beschützer der Apachen. So eine Art Manitu also.“
Cochise County: Es liegt im äußersten Südosten von Arizona, grenzt im Osten an New Mexico, im Süden an Mexiko. Der Name geht auf Cochise, einen der bekanntesten Anführer der Chiricahua-Apachen, zurück. Er führte die Kriege der Apachen während des 19. Jahrhunderts an und starb 1874.
Apache Spirit Ranch: Etwa zwei Meilen von Tombstone entfernt liegt die touristische Wildwest-Ranch von Peter Stenger. Einzelzimmer ab 185, Doppelzimmer ab 295 Dollar. Die Besitzer holen Gäste in Tombstone ab. Keine Busse oder Züge von Tucson nach Tombstone. In Arizona müssen Ausländer ihren Pass bei sich tragen.
Karl-May-Museum: Peter Stenger, der deutsche Initiator der Apache Spirit Ranch, hat in Zusammenarbeit mit dem Karl-May-Museum in Radebeul im Mai 2012 eine Karl-May-Ausstellung im Ursprungsland der Indianer eröffnet. Die Apachen-Ausstellung ist zunächst für ein Jahr vorgesehen und der Eintritt ist frei.
Anreise: mit dem Zug ab Los Angeles, Kalifornien, So./Mi./Fr. ab 22 Uhr, Ankunft in Tucson, Arizona, 7.30 Uhr am nächsten Tag, ab circa 40 Dollar (ohne Schlafwagen; Schlafwagen für zwei Personen inklusive Frühstück ab circa 200 Dollar; zurück ab Tucson Di./Do./So. um 19.35 Uhr, Ankunft in Los Angeles um 5.35 Uhr.
Die beiden echten Apachen kennen tatsächlich Winnetou, den nicht so ganz echten Häuptling der Apachen, und zwar durch Peter Stenger. Stenger ist Karl-May-Fan und Besitzer der Apache Spirit Ranch; er stammt aus München. Die Ranch liegt bei Tombstone, die Stadt, die „zu zäh ist zum Sterben“. Vor drei Jahren hat Peter das Anwesen gekauft und es in eine kleine Wildwest-Straße verwandelt, mit Bordell, Gefängnis, Postamt, Grand Hotel, Sattlerei, Mining Office und der Wells-Fargo-Bank und stilecht dekorierten Hotelzimmern. Hier kann man reiten, schießen und lernen, wie man Kühe und Stiere um Hindernisse herumtreibt.
Das zeigt mir Jenna, ein dunkelhaariges schlankes Cowgirl, die sicher im Sattel sitzt. „Vorsicht vor dem Stier, wenn der ärgerlich wird“, sagt sie, und ich gehe respektvoll dem gehörnten Tier aus dem Weg, bis ich merke, dass das eine Kuh ist und der Stier weiter hinten faul im Sand liegt.
Vor drei Tagen bin ich in Los Angeles aufgebrochen, mit dem Nachtzug, der 500 Meilen durch Kalifornien und Arizona rollt. Um halb sieben gibt es Frühstück, Eier mit Speck und Kartoffeln, Kaffee. Um acht ist der Zug in Tucson, der zweitgrößten Stadt von Arizona, von hier aus geht es mit dem Mietauto weiter nach Tombstone.
Tombstone war einmal eine Silberminenstadt, mit drei Zeitungen, vier Kirchen und über hundert Saloons. Hier fand 1881 die – oft verfilmte – Schießerei am O. K. Corral statt, zwischen Sheriff Wyatt Earp, seinen Brüdern und Doc Holliday einerseits und den Vigilantes andererseits. Das waren ein halbes Dutzend Cowboys, die davon lebten, dass sie Rinder in Mexiko stahlen und verkauften. Heute gibt es nur noch einen Saloon, Big Nose Kate, benannt nach Doc Hollidays Freundin, einer Prostituierten, die sich zur Bordellbesitzerin hochgearbeitet hatte.
Karl-May-Museum im Wilden Westen
Männer mit Colts, langen Hosen und schwarzen Hüten stellen mehrmals täglich die damaligen Schießereien für Touristen nach. Charlie und Jesus finden das albern. „Das sind Schaufensterpuppen“, sagt Jesus. „Früher war Tombstone noch cool. Als wir damals das erste Mal eingeritten sind, hat uns der Wirt von ’Big Nose Kate‘“ gesagt, wenn wir uns mit den Touristen unterhalten, dürfen wir umsonst trinken.“
Seit Neuestem ist Tombstone um eine Attraktion reicher: Ein Karl-May-Museum, bei dem Winnetou als Papp-Aussteller vor der Tür steht. Der aus dem Buch, nicht Pierre Briece. Peter Stenger hat es gegründet, es liegt in der South 4th Street, Schritte von der Allen Street, der Hauptstraße, entfernt. Zur Eröffnung schaut ein Ehepaar herein, das den „Tombstone Epitaph“ betreibt, ein paar deutsche Touristen und zwei ehemalige GIs, die einst in Deutschland waren. Vieles wurde vom Karl-May-Museum in Radebeul zur Verfügung gestellt: besticktes Leder, Pfeiltaschen, eine Trommel. Die Muster seien original, aber die Exponate seien in Radebeul handgefertigt, nach historischen Vorlagen, sagt Peter. Echte indianische Antiquitäten seien leider zu teuer. Schautafeln erzählen von Karl May, der auf seine alten Tage tatsächlich in Amerika war, aber in New York. Seine apachischen Blutsbrüder hat er nie gesehen.
Freunde fürs Leben
Gab es bei den Apachen wirklich Blutsbrüder? Oh ja, sagt Jesus. Auch Cochise hatte einen weißen Blutsbruder, Tom Jeffords; einer der Felsen in den Dragoon Mountains ist nach ihm benannt. 1861 hatte eine Gruppe Apachen eine Ranch überfallen, den zwölfjährigen Sohn mitgenommen und ein paar Kühe. Der örtliche Lieutenant, der frisch von der Militär-Akademie Westpoint kam, verdächtigte Cochise. Er lud den Häuptling ein und nahm ihn dann gefangen. „Aber Cochise schnitt mit seinem Messer das Zelt auf und floh“, sagt Charlie.
Cochises Bruder und dessen Söhne jedoch blieben zurück und wurden von der U. S. Army exekutiert. Nun herrschte Krieg. „Cochise und seine Leute haben den ganzen Landstrich entvölkert“, sagt Charlie. Dann kam Jeffords. Er war der Chef eines Pony Express, der dauernd von den Apachen angegriffen wurde. „Er ging zu Cochise, unbewaffnet, und er verstand die Sprache der Apachen“, erklärt Jesus. „Das hat Cochise beeindruckt. Die beiden wurden Freunde fürs Leben.“
1872 gelang es Jeffords, einen Frieden zu verhandeln. Aber nur drei Jahre später – Cochise war inzwischen gestorben – brach Washington den Vertrag und sperrte die Chiricahua in die malariaverseuchte San Carlos Reservation. „Da starben die meisten“, sagt Jesus. Nun nahmen die Apachen die Waffen wieder auf, unter der Führung von Geronimo, dem Häuptling der Mescalero. „Mein Urgroßvater ist noch mit Geronimo geritten“, sagt Jesus.
Eine Schlägerei für Gäste im Saloon
Am Abend, auf der Apache Spirit Ranch, gibt es Steak und Kartoffeln. Dann stürmen die Vigilantes aus Tombstone den Saloon und fangen eine Schlägerei an. Für die Gäste. Später erzählt Ike, einer der Vigilantes, dass er in New York City gelebt habe. Ninth Avenue und 34th Street. Ein Country-Musiker mit Gitarre verführt alle zum Mitsingen. Ike wird gescholten, weil er bei Dixie, der Hymne der Südstaaten, den Hut aufbehalten hat.
Am nächsten Tag geht es weiter mit dem Auto nach New Mexico, an Apache vorbei, einem Kaff an den Chiricahua-Bergen. In diesen Bergen wurde Winnetou begraben, von seinem Blutsbruder Old Shatterhand. Am Straßenrand steht ein Mahnmal für Geronimo, den letzten echten Führer der Mescalero-Apachen. Hier hat er sich ergeben. „Er hätte eher aufgeben müssen“, sagt Jesus zum Abschied. „Dann hätten vielleicht mehr von uns überlebt.“
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