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Anwalt will Verfahren gegen die Psychiatrie

Heute beginnt der Prozeß gegen Tamar Segal, die dem „Heidemörder“ Holst zur Flucht verhalf  ■ Von Jan Feddersen

Hamburg (taz) – Ginge es nach der Angeklagten, stünde von heute an nicht sie, sondern die Psychiatrie vor dem Richter. Tamar Segal gibt die ihr angelastete Tat unumwunden zu: Am 27. September vergangenen Jahres verhalf sie dem dreifachen Frauenmörder Thomas Holst zur Flucht aus dem Haus 18 des Allgemeinen Krankenhauses Ochsenzoll (AKO) in Hamburg. Der in der Boulevardpresse vorwiegend als „Heidemörder“ titulierte Mann versteckte sich drei Monate lang in einer von der 40jährigen Psychologin angemieteten Wohnung etwas abseits der Hamburger Innenstadt.

Tamara Segal versorgte ihn dort mit Lebensmitteln und setzte, so ihre Aussage vor den Ermittlungsrichtern, ihre therapeutische Arbeit mit dem Mann fort, dem sie – anders als ihre Kollegen im AKO – eine „multiple Persönlichkeitsstörung“ diagnostizierte, die sehr wohl behandelbar sei, aber nicht so, wie es sich ihre Kollegen in der Hamburger Gerichtspsychiatrie vorstellen. Die hätten in ihm nur einen Simulanten gesehen, der nicht in ein normales Gefängnis eingeliefert werden wollte.

Eine Gefahr für sich und andere Frauen sah sie in ihrer Fluchthilfe nicht. Holst habe sich schließlich unmittelbar nach ihrer eigenen Festnahme selbst der Polizei gestellt – sie habe die Situation jederzeit im Griff gehabt. Eine Gefährdung anderer Menschen habe es nicht gegeben.

Über den Grund ihrer Hilfe für Thomas Holst will sie spätestens vom zweiten Verhandlungstag vor dem Hamburger Landgericht sprechen, indem sie eine 130 Seiten lange Erklärung zu ihren Motiven vorlesen möchte. Aufräumen will sie darin mit einigen Irritationen, die gerade ihre Beteiligung an der Flucht in der Öffentlichkeit, namentlich durch Blätter wie die Bild oder die Hamburger Morgenpost, hervorgerufen haben: Sie vermuteten nämlich in Tamara Segals Unterstützung eine Liebesgeschichte zwischen ihr und Holst.

Diese Theorie ist jedoch vom Tisch. Tamara Segal ist lesbisch. Vor knapp 20 Jahren wanderte sie von Israel in die Bundesrepublik aus, um bei ihrer Freundin zu sein. Hier machte sie erst Examen in geisteswissenschaftlichen Fächern, später einen Abschluß als Psychologin.

Segal wird als engagiert bis zur Selbstaufgabe, von manchen gar als „absolute Altruistin“ charakterisiert. Schwierige Fälle waren ihr immer die liebsten – ob es sich um autistische Jugendliche handelte oder um depressive Patientinnen. Sie habe nie auf die Uhr gesehen, heißt es, wenn ihre Arbeitsauffassung beschrieben werden soll. Bilder zeigen sie stets ein wenig lächelnd, lieb und gar nicht wie „Stahl aus Seide“, wie ihr Anwalt Yitzhak Goldfine sie sieht.

Engagement hat sie auch Thomas Holst entgegengebracht. Im AKO, so wurde ihr bedeutet, bekomme er seine letzte Chance, bevor er endgültig in den Regelvollzug gehen müsse. Zeige er sich auch in der Psychiatrie therapieunwillig, müsse er in den Knast. Tamara Segal, die als Beschäftigungstherapeutin ausdrücklich keinen Therapieauftrag hatte, wird nun genau an diesem Punkt ansetzen: Denn würde ihr Patient wie ein gewöhnlicher Gefangener behandelt, käme auch er trotz lebenslänglicher Strafe nach zehn bis fünfzehn Jahren frei – und würde dann wieder Opfer seines inneren Chaos, müßte dann abermals Frauen töten. Im AKO habe Holst jedoch nicht wirklich eine Chance gehabt, mit sich und anderen ins Gespräch zu kommen: Im Haus 18 würden die Menschen nur verwahrt, niemand kümmere sich um sie. Gerade was Täter wie den „Heidemörder“ anbelangt, müsse größere Sorgfalt aufgebracht werden – und Tamara Segal gab mehr als einmal im Kollegenkreis zu verstehen, daß vor allem sie sich für diese Art von therapeutischer Akkuratesse zuständig fühlt.

Die Vorwürfe werden von den Zuständigen im AKO bestritten. Thomas Holst habe vielmehr kühl erkannt, daß er in Tamara Segal eine Psychologin vor sich habe, der er nicht nur seine Geschichten erzählen konnte, sondern auch eine, die sie auch noch ohne kritische Gegenfragen für glaubwürdig hält. „Nicht in Thomas Holst hat sie die Gefahr gesehen, sondern in den Kollegen, die im Gegensatz zu ihr aber hin und wieder an sich zweifelten“, heißt es von Kollegen aus dem AKO.

Segals Anwalt Yitzhak Goldfine aus Tel Aviv will alle Beteiligten in den Zeugenstand rufen: den Klinikchef, den Stationsarzt, Patienten und, sehr zur Freude von den großen Bilderblättern, auch Thomas Holst. Verhindert werden soll, daß der Prozeß sich nur um eine mögliche Unzurechnungsfähigkeit Tamara Segals dreht: „Ohne diesen Fall hätte nie jemand über die Zustände in der Psychiatrie gesprochen.“ Und: „Sie ist kampfbereit“, sagt Goldfine.

Ein Erfolg wäre jedoch schon, wenn nicht nur über die Psychiatrie gesprochen würde, sondern die Angeklagte mit höchstens zwei Jahren auf Bewährung freikäme. Staatsanwältin Claudia Knoll kann bis zu einer Höchststrafe von fünf Jahren plädieren. Anwalt Goldfine behauptet: „Sie ist auf eine Strafe innerlich vorbereitet.“

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