■ Antwort auf Fritz Kuhn: Die ganzen Debatten über Schwarz-Grün gehen zu Lasten des grünen Profils: Schwarzfahrer
Fritz Kuhn (taz vom 8.12.94: „Vom Realitätsgehalt der Gespenster“) hat recht: Schwarz-Grün ist kein Gespenst, sondern in rund 21 Gemeinden Nordrhein-Westfalens Realität, und es hilft wenig, darauf zu verweisen, daß es an Rhein und Ruhr rund 70 rot-grüne Bündnisse gerade in großen Städten gibt und wahrscheinlich noch mehr schwarz-rote Klüngel. Er betont zu Recht, daß es darum gehe, die inhaltliche Eigenständigkeit von Bündnis 90/Die Grünen zu betonen und mehr prinzipielle inhaltliche Distanz zu CDU wie SPD zu wahren. Richtig: man koaliert nicht mit Freunden, sondern mit Gegnern.
Fritz Kuhn irrt aber gründlich, wenn er glaubt, die anhaltende Debatte über Schwarz-Grün sei ein Zeichen der Stärke der Grünen. Nein, die Debatte nutzt anderen. Sie geht zu Lasten des politischen Profils von Bündnis 90/Die Grünen, vielfach gerade wegen der damit einhergehenden Anerkennung als eine reputierliche Partei.
Bündnis 90/Die Grünen haben im kommenden Jahr vier Landtagswahlen in Hessen, in NRW, in Bremen und in Berlin zu bestehen. Bei keiner dieser Wahlen ist eine Koalition oder nur Zusammenarbeit mit der CDU ein Wahlziel – im Gegenteil: Rot-Grün in Hessen will gegen Kanther verteidigt werden. In Bremen ist Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der SPD möglichst ohne FDP das Ziel.
In NRW setzen Grüne darauf, in das Stamokap-ähnliche Gebilde aus Landesregierung und Aufsichtsrat der WestLB einzubrechen und der SPD eine Koalition aufzunötigen. Das Interesse des Paten von NRW an der schwarz- grünen Debatte ist offenkundig: die Rückbindung frustrierter SPD- WählerInnen in den großstädtischen Metropolen könnte Johannes Rau noch einmal die absolute Mehrheit sichern.
Raus Interessenlage am Rhein deckt sich mit der Diepgens in Berlin: Je schlechter das Bündnis 90/Grüne und je besser die PDS abschneidet – welche im Osten der Stadt die stärkste Partei ist –, um so höher die Chance, mit der Großen Koalition am Ruder zu bleiben. Grüne hingegen wollen dort drittstärkste Partei werden und die große Koalition zugunsten einer ökologischen und sozialen Reformpolitik ablösen.
Bei keiner der im nächsten Jahr anstehenden Wahlen ist Schwarz- Grün eine Option für Grüne. Bei jeder dieser Wahlen führt die Schwarz-Grün-Debatte zu Verunklarung ihrer inhaltlichen Positionen wie ihrer Bündnis-Optionen. Der damit einhergehende Ansehensverlust dürfte gerade in den Hochburgen der Grünen, also dort, wo Wahlen für sie entschieden werden, erheblich sein.
Über die Koalitionsfähigkeit von Parteien entscheiden weniger papierene Programmatiken. Entscheidender sind die Überschneidungen in den soziokulturellen Milieus der Parteien und ihrer Umfelder. Es waren von der Großen Koalition in Baden-Württemberg enttäuschte rot-grüne Wechselwähler, welche den Grünen im Ländle bei der Bundestagswahl ein Traumergebnis bescherten. In diesen rot- grünen Milieus haben Grüne sehr viel mehr zu verlieren, als in den kleinen schwarz-grünen Überschneidungen zu holen ist. Aus dem Verlust des Koalitionspartners FDP resultiert für die CDU nicht die Notwendigkeit, sich der Grünen als neue Mehrheitsbeschaffer zu bedienen. Aus dem Funktionsverlust der FDP erwächst für die CDU zunächst nur die Notwendigkeit, stärker als SPD und Grüne zu werden – sei es absolut, sei es mit Hilfe der nützlich ausgegrenzten PDS. Im ersten Fall kann man alleine regieren, im zweiten die gleiche Politik im Rahmen einer Großen Koalition umsetzen.
Jenseits notwendiger, aber nicht hinreichender Wahltaktik ist Schwarz-Grün keine „Anfrage an die Reformfähigkeit der CDU“ (Kuhn), sondern eher Test auf die Bereitschaft der Grünen, ihre politischen Einzelziele gegeneinander ausspielen zu lassen. Politisch- programmatisch bestreiten selbst die Anhänger schwarz-grüner Überlegungen nicht, daß „noch“ und „zur Zeit“ die Widersprüche zwischen CDU/CSU und Grünen zu groß sind, als „auf absehbare Zeit“ Koalitionen auf „überörtlicher Ebene“ möglich sind. (Warum nur diese Beschränkung, traten Grüne nicht mal unter dem Motto an: „Global denken – vor Ort handeln“?) Ein bißchen Umweltschutz gegen grüne „Gesamtschulflausen“ (Bernd Ulrich in der Wochenpost) zu tauschen ist ein wenig taugliches Rezept.
Schwarz und Grün gehen nämlich selbst da schlecht zusammen, wo scheinbar Übereinstimmung herrscht. Hinter der gemeinsamen Ablehnung anonymer Massenschulen verbergen sich unvereinbare Gegensätze in der Schulpolitik. Während Grüne auf Integration und Förderung setzen, sollen nach dem Willen der CDU die Rückkehr zu angestammten Werten, Selektion und Konkurrenz möglichst schon in der Grundschule Einzug halten.
Grüne Positionen sind am „Standort Deutschland“ vielfach minoritär. In entscheidenden Fragen gibt es heute schon eine faktische Große Koalition – Stichworte wie Asylrecht, Solidarpakt, Beschleunigungsgesetze, Pflegeversicherung mögen genügen. Die informelle und mit dem Zerfall der FDP atemberaubend schnell näherrückende formelle Große Koalition hat eine ökologische und soziale Reformpolitik im Bund erst mal von der Tagesordnung abgesetzt. Rot-grüne Koalitionen in den Ländern und Kommunen werden immer schwerer. Doch warum sollten aus den aus schwarz-roter Annäherung erwachsenden immensen Schwierigkeiten rot-grüner Bündnisse ausgerechnet Chancen für Schwarz-Grün wachsen?
Die Pluralisierung, Polarisierung und Individualisierung von Lebenslagen führt zu einer wachsenden Ausgrenzung marginalisierter Gruppen aus der politischen Willensbildung. Sie hat, wie Ulrich Beck zutreffend bemerkt, nicht die Aufhebung der „Rechts- Links-Metapher“, aber neue Dichotomien zur Folge: „sicher – unsicher, innen – außen, politisch – unpolitisch“. Dabei gehe es um folgende „Gretchenfragen“: Wie hältst du es erstens mit der Ungewißheit, zweitens den Fremden und drittens mit der Gestaltbarkeit von Gesellschaft?
Die Anwort der Rechten auf diese Fragen ist klar und eindeutig: Unsicherheit beseitigen sie durch eine Politik der Stärke gegenüber den inneren wie äußeren Feinden. Den Fremden dulden sie höchstens als Gast, und der Staat hat sich aus solchen Dingen wie der Wirtschaft herauszuhalten, von denen er sowieso nichts versteht.
Eine Antwort von links hieße, daß es Sicherheit in einer Welt der Umbrüche nicht geben kann, daß das Fremde wir selbst sind, und die Gestaltung der Lebensverhältnisse nicht dem Diktat von Angebot und Nachfrage überlassen bleiben darf.
Allerdings finden sich solche Zuspitzungen nur auf der politischen Rechten wieder. In der deutschen Volkspartei der rechten Mitte vollzieht sich ein radikaler Wandel. Sie entledigt sich ihrer letzten sozialstaatlichen Eierschalen zugunsten der radikalen Wandlung der alten Bundesrepublik zu einer ellbogenorientierten Zweidrittel-Gesellschaft, welche, da sie mit Wohlstandsversprechen nicht mehr zusammenzuhalten ist, mit der Idee der „Nation als Schutzgemeinschaft“ (Schäuble) zusammengekittet werden soll. An „Feinden“ mangelt es Schäubles Schutzgemeinschaft nicht. Nach dem Zusammenbruch des traditionellen Feindbildes im Osten stehen neue parat: selbst entdeckte, reale, irreale.
Die „Mittel“, diese Feinde zu bekämpfen, bestimmen den öffentlichen Diskurs von rechts. Gegen Flüchtlinge soll die Bundeswehr an die Grenze, zur Bekämpfung der „Organisierten Kriminalität“ sollen die Wohnungen verwanzt werden und, statt Armut zu beseitigen, werden die Armen unter dem Vorwurf des Leistungsmißbrauchs geschurigelt.
Der Weg aus der „Sinnkrise“ der modernen Gesellschaft, die Schäuble im „Mangel an Transzendenz“ entdeckt haben will, liegt in der Zuspitzung dieses rechten Diskurses. Die Reformation der alten Volkspartei zu einer rechtspopulistischen Massenpartei der oberen Zweidrittel ist die Zukunft der CDU nach Kohl. Die Geißler- Süssmuth-CDU ist ein Phantom der Vergangenheit, ihre Zukunft liegt zwischen Carl Schmitt und Jürgen Rüttgers.
Es ist an der Zeit, dieser Entwicklung eine Zuspitzung von links entgegenzusetzen, anstatt die Entwicklung der CDU zu einer rechtspopulistischen Partei schönzureden. Eine weltoffene, radikaldemokratische Politik geht nicht mit Wohlstands-Chauvinismus nach innen und außen zusammen. Jürgen Trittin
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