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■ Antje Vollmer zur Krise der SPDSchäuble gegen Lafontaine

Schnell sind die Genossen im Vergessen. Als läge der Rücktritt Björn Engholms schon Monate zurück, als sei er nicht zeitgleich mit jenem verhängnisvollen Schuß gefallen, mit dem der ehemalige Ministerpräsident Frankreichs, Pierre Bérégevoy, seinem Leben ein Ende setzte. Politik im atemlosen Tempo der Reality-TV. Kann keine Trauer sein, zu fern, zu weit.

Es ist nicht die mangelnde Pietät, die den Zuschauer irritiert und tief beunruhigt, es ist die Leichtigkeit, mit der sich gleich das ganze Führungspersonal der deutschen Sozialdemokratie in Gefahr begibt. Die Sorge, darin selbst umkommen zu können, haben offensichtlich weder Schröder noch Wieczorek-Zeul, nicht der nachdenkliche Scharping und nicht die lebenskluge Renate Schmidt. Das legt den Verdacht nahe, sie wüßten doch nicht so ganz genau, was ihnen bevorsteht. Die Krise der SPD ist kein Verkehrsunfall, sondern ein europäisches Ereignis, das den politischen Kontinent verändert. Ein gesamtdeutscher Wahlkampf unter den Auspizien des Populismus und der anwachsenden Aggressivität ist kein Osterspaziergang und kein Ort, sich „einmal auszuprobieren“. Den Test aller Tests, den Blick ins Spiegel-Stasi- Archiv und ins Stern-Scheckbuch, hat noch keine(r) der oben Genannten hinter sich – und auch nicht die Erfahrung, wie tief man fallen kann, wenn man in die Hand der Parteifreunde fällt.

Es ist die Zeit der Vorschläge, die aus der Tiefe des Raumes kommen. War der letzte Vorsitzende zu zögernd, muß der neue zu forsch sein (Schröder). Haben bisher die Männer den Wagen in den Dreck gefahren, müssen jetzt die Frauen ran (Wieczorek-Zeul und Schmidt). Haben die 68er-Enkel zu sehr genervt, so sollen jetzt die unbefleckten Jüngeren (Scharping) oder die kampfgestählten Alten (Helmut Schmidt) das geschundene Gefühlskostüm der Partei heilen. Und alles soll ganz schnell passieren und ganz viel Erfolg haben! Dabei brauchte die SPD in ihrem Zustand tiefer Verunsicherung nur eins: Zeit. Zeit zum Nachdenken. Zeit für einen innerparteilichen Kompromiß. Zeit, um Personen aufzubauen, die als ihre Hauptaufgabe akzeptieren, die Vermittlung zwischen den verschiedenen Protagonisten herzustellen. Genies hat die Partei offensichtlich genug. Was fehlt, ist Beziehungsarbeit.

Was fehlt, ist auch eine Inszenierung der zu wählenden KandidatInnen, die dem Volk einleuchtet, weil sie gleichzeitig ein Konzept vermittelt. Das wird dringend gebraucht, nicht zuletzt angesichts des weitverbreiteten Bewußtseins einer tiefen Krise der Politik. Für eine solche Inszenierung von Konzepten und Personen gäbe es folgende denkbare Modelle:

1. Das Modell Clinton: Ein weitgehend unbekannter Kandidat aus der Provinz wird zum Zentrum einer landesweiten Erneuerungsbewegung. Von allen KandidatInnen würde dies am ehesten auf die Person Scharpings zutreffen – wenn diesem nicht genau das fehlen würde, was bei Clinton jene erstaunliche Wirkung auf das Innenleben der Nation ausmachte: Charisma, ein Gespür für den Mythos Amerikas, sich über die Präsidentschaften neu zu erfinden und eine intellektuelle Inspiration durch die Doppel-Partnerschaft mit Hillary und Al Gore. Da keine dieser Bedingungen bisher erfüllt ist, erscheint der doppelte Griff nach Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur durch den Pfälzer doch etwas kühn. Der Parteivorsitz allein oder die Kandidatur allein wär' auch schon was fürs erste...

2. Das Modell Helmut Schmidt: Nach dem Hedonisten und Zögerer kommt der erfahrene und kompetente Machtpolitiker, der nicht geliebt, aber respektiert wird und so Berechenbarkeit vermittelt. So sieht sich Gerhard Schröder, so motiviert er seinen schnellen Zugriff auf die ganze Macht in der Partei. Dabei fehlt ihm – außer der Gunst der Stunde, die tatsächlich an das Jahr 1974, das Jahr des Brandt-Rücktritts, erinnert – nahezu alles, was Schmidt damals aufzuweisen hatte. Schröders Politikstil verströmt den ganzen Charme des Münsteraner Studentenparlaments der 70er Jahre. Als konzeptioneller Erneuerer seiner Partei ist er noch nicht aufgefallen. Er hat zwar den Mittelbau der Partei für sich, der mit ihm die politische Sozialisation teilt, aber nicht die Parteibasis.

3. Das Modell Feminat: Nachdem die Herren die Klingen gekreuzt haben, benutzen die Ladies das feinere Besteck. Das erhofft sich jetzt besonders ein Herrenmagazin, dem auch ein Schub weiblicher Kreativität guttäte. Der Wunsch ist psychologisch verständlich und billig zu fordern, verfehlt aber fatal die Realität. Heide Simonis wird eine kluge und äußerst kompetente Ministerpräsidentin in Schleswig-Holstein sein, auf Renate Schmidt in Bayern freut sich vergnügt die ganze Republik. Jetzt in den Kampf gegen Helmut Kohl und/oder Wolfgang Schäuble zu gehen – ohne jede Regierungserfahrung, ohne Kenntnis der politischen Verwaltung, bedeutet ein unnötiges Risiko. Richtig ist jedoch, daß die Partei gerade sie als Vorsitzende lieben würde, was die Frauen auch ein großes Stück voranbringen könnte.

4. Das Modell: Keine Experimente in der Personenfrage – dafür Erneuerung in der Sache. Nichts spricht dafür, Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur in eine Hand zu geben, schon gar nichts in der jetzigen Situation. Nur Willy Brandt hatte diese Ämterhäufung für kurze Zeit – und das, nachdem die Partei ihn lange getestet hatte. Die große Gewaltenteilung in der SPD zwischen Brandt, Wehner und Schmidt war sicher für die Beteiligten schmerzhaft, für die Partei war sie dennoch das Geheimnis des Erfolges. Sie ist auch die größte Risikoabsicherung, wie die Misere nach dem Rücktritt Engholms zeigt. Es gibt keinen Bedarf nach Wiederholung und keine(n) BewerberIn, gegen die oder den nicht Restzweifel unterschiedlichster Art bestehen.

Was tun? Der Knoten läßt sich nur lösen, wenn man die Perspektive ins Auge faßt, die bei den innerparteilichen Überlegungen immer leicht zu kurz kommt: die Gesamtsituation der Bundesrepublik. Helmut Kohl wird – entgegen allen Nachreden und Voraussagen – nicht auf Dauer an der Macht kleben. Die Zentralfigur der Konservativen wird schon bald und auf absehbare Dauer Wolfgang Schäuble sein. Das ist auch richtig so, da er der konzeptionelle und strategische Kopf der politischen Rechten für die jetzige Etappe ist, mit allen machtpolitischen Komponenten ausgestattet. Für einen Kanzler oder Kanzlerkandidaten Schäuble gibt es als Kontrahenten, der ihm an Professionalität, Power und konzeptioneller Begabung gewachsen wäre, nur Oskar Lafontaine. Der hätte zwar noch einige klärende Worte zu den Ostdeutschen und einige Gesten zur Wiederannäherung an seine Partei zu leisten, aber er ist und bleibt der geborene Gegner und Partner von Schäuble, nicht zuletzt durch die Erfahrungen, die beide im Jahr der deutschen Einheit machen mußten. Schäuble gegen Lafontaine – das wäre eine echte Wahlalternative für die Bevölkerung. Schäuble gegen Lafontaine – das verspräche produktiven Streit um die Konzepte der neuen Republik vor der großen Epochenwende. Das verspräche auch große Debatten um große Themen im Bundestag. Und noch ein Argument: Die beiden hebt kein Lebensrisiko und keine Medienkampagne mehr aus dem Sattel – was für sich genommen auch ein Stück Beruhigung ausmachen würde in turbulenten Zeitläufen. Es wäre eine Chance mehr, sich von der Personendebatte endlich wieder den politischen Fragen zuzuwenden.

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