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Anti-AntiterrorkampfToiletten-Fotos für das FBI

Professor Elahi kündigte seine New Yorker Wohnung am 12.9.2001. Das FBI ermittelte - und ließ den Verdacht fallen. Doch Elahi liefert weiter Details.

Sorgfältige Dokumentation: Von Hasan Elahi benutzte Toiletten Bild: Screenshot/taz.de

Es ist ein Samstag im August 2007, und um 12.11 Uhr sitzt Hasan Elahi auf einem weißen Plastikstuhl an einem mit einer gelben Tischdecke überzogenen weißen Plastiktisch vor einem kleinen Imbissrestaurant in Berlin-Kreuzberg. Gegenüber befindet sich eine kleine Einkaufspassage. Er hat Gemüse, Fladenbrot und eine 0,33-Liter-Dose Cola light bestellt.

Und das FBI weiß das.

Denn Hasan Elahi hat eben seinen Standort - "Kottbusser Tor Berlin Doner" - in einen Apparat eingetippt, auf "Okay" gedrückt und die Daten an den Computerserver in New Jersey gesendet, auf dem seine Webseite liegt. Der Server hat die Daten geokodiert, seine Standortkoordinaten herausgesucht und die Information auf seine Webseite hochgeladen. Dann hat Hasan Elahi eine Canon-G7-Digitalkamera aus seiner Tasche genommen und seinen Teller fotografiert und mit einem Nokia-6600-Handy die gegenüber liegende Straßenseite gefilmt.

Hasan Elahi veröffentlicht alles über sich. Seinen Standort und seinen Eintopf, er fotografiert jede Toilette, die er benutzt, veröffentlicht, in welchem Einkaufszentrum er wann eine Zahnbürste mit Kreditkarte bezahlt hat und die Mahlzeiten, die er in Flugzeugen isst. Mit Angabe der Airline und Flugnummer. Hasan Elahi ist ein gläserner Mensch.

Hasan Elahi sagt, und seinem glucksenden Lachen nach findet er das sehr lustig: "Es ist sehr wichtig, dass das FBI das weiß." Und dann erzählt er die Geschichte, die hinter all dem steckt. Sie beginnt mit einer ungünstigen Kombination von vier Identitätsmerkmalen, die er auf sich vereint. Erstens: Hasan Elahi reist viel, zu Seminaren und Ausstellungen. Das ist sein Beruf, er ist Kunstprofessor an der Rutgers University in New Jersey. Er sagt: "Sechs Monate im Jahr bin ich on the road." Zweitens: Er hat einen arabisch klingenden Namen, auch wenn er in Rangpur, Bangladesch, geboren ist. Drittens: Er hat schwarze, wenn auch derzeit blondierte Haare und etwas dunklere Haut. Und viertens: Am 12. September 2001, einen Tag nach den Anschlägen, kündigte er seine Wohnung in New York. Hasan Elahi ist die Mutter aller Terrorverdächtigen.

Sein Vermieter gab den Behörden einen Tipp. Als Elahi neun Monate später, am 19. Juni 2002, aus dem überwiegend muslimischen Senegal kommend am Detroiter Flughafen landete, erfuhr er, dass er im Verdacht stehe, Sprengstoff für Al-Qaida zu transportieren - er stand auf der "Terror Watch List" des FBI. Er sagt: "Das halbe Land ist seit 2001 auf orange alarm. Hab' ich gerade das halbe Land gesagt?"

Er war in Amsterdam auf einer Konferenz gewesen, hatte anschließend in Lissabon am Strand gelegen, danach in Paris eine Ausstellung besucht und schließlich in Dakar mit Kunstschaffenden diskutiert. Bei der Rückkehr wurde er festgehalten und zum ersten Mal verhört.

Er sagt: "Ich dachte ständig an Guantanamo. Regierungen machen Fehler, und ich hatte Angst. Also kooperierte ich." Das FBI fragte, und Hasan Elahi erzählte alles, was er wusste. Er wusste nichts. Aber das kann ja jeder sagen. Also erzählte er alles andere. Flugnummern, Kalenderdaten, Telefonverbindungen, Bankbewegungen. Er machte sich transparent. Das ging sechs Monate so. Nach dem letzten Verhör sagte der Mann vom FBI: "Es liegt nichts gegen Sie vor."

Elahi sagte: "Kann ich das schriftlich haben?"

Der Mann sagte: "Nein."

Elahi sagt: "Sie konnten mir das nicht schriftlich geben, denn das würde bedeuten, dass je etwas gegen mich vorgelegen hätte. Ich wurde aber nie offiziell verdächtigt." Und dann beschloss er, die totale Transparenz fortzusetzen. In seiner Funktion als Kunstprofessor.

Er richtete eine Webseite ein, trackingtransience.net, auf der man seinen jeweiligen Aufenthaltsort mittels Geocoding und GPS bei "Google Earth" sehen kann. Er fotografiert Umgebung, Essen, Toiletten und lädt seine Kontobewegungen ins Netz. Es gibt zahlreiche Pop-ups und Querverbindungen. Eine Webseite wie ein Puzzle, voll mit Hinweisen auf seine Identität.

Nur wird er jetzt nicht mehr überwacht. Er überwacht sich jetzt selbst. Und das ist ein Unterschied.

Er hat sich das Überwachungskonzept angeeignet, und damit führt er es von unten ad absurdum. Er befriedigt nun ein Interesse, das niemand hat. "Jeder kann sehen, welche Toiletten ich benutze", sagt er. "Aber wen interessiert das? Es interessiert natürlich niemanden. Und wer sollte das jemals auswerten?" Hasan Elahi nennt das: "aggressive Unterwürfigkeit". Er folge, sagt er, einem einfachen ökonomischen Prinzip: "Die Ware des FBI ist Information. Aber wenn ich den Markt mit Information flute, ist sie entwertet. Es gibt nichts mehr, was sie über mich herausfinden könnten."

Er ist nun nicht mehr nur der Mann, über den eine FBI-Akte besteht. Er ist jetzt der Mann, der einen Aktenschrank über sich selbst anlegt und die Behörden dabei beobachtet, wenn sie ihn öffnen.

Das FBI besucht gelegentlich seine Webseite, er sagt, offenbar lege man dort keinen großen Wert darauf, die Adressen der eigenen Computer zu verschleiern. Am 23. Mai 2007 wurde seine Seite zwischen 5:16 Uhr und 10:15 Uhr auch fünf Mal von Rechnern im Pentagon angeklickt. Und am 24. Mai 2007 hatte er zunächst Klicks von cia.gov, um 9:35 Uhr und 9:38 Uhr gar Besuch von einem Gast mit der Adresse esseop05.eop.gov. "Es stellte sich heraus, dass eop.gov kurz für ,Executive Office of the President' ist", sagt Hasan Elahi. Einige der mächtigsten Menschen der Welt haben sich offenbar darüber informiert, was er zuletzt gegessen hat. Und er kann das kontrollieren. Er sagt: "Ich beobachte jetzt Big Brother."

Er hingegen, eigentlich der Beobachtete, bleibt in Wirklichkeit unbeobachtbar. Denn er selbst bestimmt theoretisch, ob er wirklich jede Mahlzeit fotografiert, die er verzehrt. Er bestimmt, ob er seine Kontodaten korrekt wiedergibt. Er bestimmt, wann er seine geographischen Koordinaten hochlädt. Einmal stieg er in den USA in ein Flugzeug, flog nach Singapur, hielt sich dort vier Tage lang in der Transit-Zone des Flughafens auf, ohne in Singapur einzureisen, und dann flog er wieder nach Hause. Als er dort ankam, waren in seinem Pass nur ein US-amerikanischer Ausreise- und ein Einreisestempel. Datentechnisch betrachtet war er dazwischen vier Tage lang nirgendwo. Es gab nur seine Flugnummer und ein paar Fotos von den Mahlzeiten, die er aß, und den Toiletten, die er benutzte. Er, der Mann, der immer da ist, war einfach weg. Elahis Kommentar zur totalen Überwachung.

Und selbst wenn er nicht nirgendwo ist, ist er nicht greifbar. Etwa 20.000 Fotos hat er auf seine Seite geladen - aber kein einziges zeigt ihn. Jeder könnte sie machen, während er gerade einen Sprengstoffdeal abwickelt. Aus rein sicherheitspolitischer Perspektive ist seine Webseite wertlos, ein Fake. Dass Mitarbeiter von US-Behörden seine Seite trotzdem regelmäßig besuchen und er das weiß, ist eine Pointe, die ihm keiner nehmen kann.

Allerdings geht es ihm längst nicht mehr nur ums FBI. Es geht um die Idee dahinter: um die Überwachung und die Angst davor. "Meine Idee der kompletten Offenheit ängstigt die Menschen", sagt er. "Privatheit ist in diesen Tagen ein hot topic." Doch sein Punkt ist: Was weiß man schon an Privatem von ihm?

Das Bild, das von ihm dank der immensen Datenmenge, die er zur Verfügung stellt, entsteht, ist das eines beliebigen Menschen, der viel reist. Eines entindividualisierten Mannes, der alle ist und keiner. Er ist nicht wirklich ein gläserner Mensch. Er ist milchgläsern. Hinter der bloßen Behauptung, das Gegenteil sei der Fall, bleibt er undurchschaubar. Kontextbefreit hinterlässt er seine Spuren im Netz, von ihm bleiben nur im Grunde belanglose Ziffern, Mahlzeitlisten, Flugnummern, Bankeinzugsbestätigungen.

Am 12. Juni 2003 benutzte er eine weiße Toilette im türkisgrünen Raum eines Zuges. Am 14.7.2007 wurde sein Konto von der Galeria Kaufhof 210 Berlin DF mit 22,40 US-Dollar belastet. Während des Flugs DL 118 CDG-MAA trank er Cola und Orangensaft, jeweils mit Erdnüssen, aß mittags Reis mit Spinat und Salat, abends Pizza (letzteres mit ein wenig Wasser).

Doch was kennt man wirklich von ihm, außer säckeweise Datenmüll? Hasan Elahi, von dem man alles zu wissen scheint, ist in Wirklichkeit niemand. Die Information über ihn sprudelt schier endlos. Doch er bleibt der Herr darüber. Hasan Elahi sagt: "That's the beauty of it."

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8 Kommentare

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  • GF
    Gerd Fierus

    Überwachung macht viel Arbeit, auch die Selbstüberwachung.

  • N
    Nof

    Denke schon, dass das unter Kunst fällt. Es ist eine Art, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Ob man die Art und weise gut findet ist was anderes. Aber er hat sich selber zu einem Kunstobjekt gemacht und sagt damit mehr aus als viele andere Kunstwerke.

  • S
    seebaerli

    @Hans Hansen: Genau die Reaktion, die Du hier an den Tag legst ist beabsichtigt. Du hast auch schon die richtigen Schlussfolgerungen gezogen, die Sache abgehackt und guckst nicht mehr hin. Es waere sinnlos.

     

    Sogar die Exekutive der USA ist nicht souveraen genug, nicht auf einer Netzseite mit Datenmuell herumzuwuehlen. Es ist so einfach Ueberwachung in falsche Bahnen zu lenken wie einen Hund mit Klingeln zum Sabbern zu bringen. Es ist sinnlos und lenkt den Blick ab vom Wesentlichen.

  • M
    Merlin

    Das wirklich Geniale daran (was leider im Text fehlt):

    _wenn_ ihn die USA nach Guantanamo oder wohin auch immer schicken, fällt das sofort auf!

  • M
    mr.green

    ja ein lustiges kerlchen, dieser herr elahi!

    aber wie schon im text vermerkt, eher datenmüll. er müsste sich ein FBI-datenhütchen auf den kopf schrauben lassen, das automatisch und in echtzeit einen live stream überträgt! oder zumindest eine F-B-eye-cam (hahaha), welche automatisch standbilder hochlädt.. blabla.

     

    na aber immerhin eine lustige geschichte - denn wie lautet doch die beschreibung der terrorhauptverdächtigen: bärtige millionäre. vorsicht also immer und überall :)

    .jk

  • K
    kosmar

    bitte liebe taz, bitte lernt doch wenigstens ihr wie man aus einem wort einen link macht. ich halte es für schlicht unanständig, nicht auf eine website zu verlinken über die man berichtet. warum nur verstehen das zeitungsredakteure so gar nicht? und die taz? etwa auch nicht?

     

    *** Anmerkung der Redaktion: Hallo Kosmar, es gibt einen Link auf die Website - allerdings nicht direkt im Text, sondern in der rechten Spalte unter der Überschrift "externe Links".

  • HH
    Hans Hansen

    Der Typ ist wirklich verdaechtig.

    Welcher Irre reist nach Singapore, nur um vier Tage im Flughafen herumzusitzen?

    Mit Kunst hat das jedenfalls nichts zu tun, allenfalls mit Masochismus und Wichtigtuerei.

  • S
    seebaerli

    Ueberwachung ist der Griff ins Klo.