Anthony Hegarty-Konzert in Frankfurt: Transgenderqueen der Hochkultur
Antony Hegarty beschließt seine Deutschlandtour in Frankfurt am Main. Die eigenen Songs zur Kammermusik arrangiert, bietet er als Zugabe Stadionrock.
Keine fünf Jahre sind vergangen seit diesem Novemberabend im Deutsch-Amerikanischen Institut zu Heidelberg. Eines der ersten Deutschlandkonzerte des US-amerikanischen Schwesternduos Coco Rosie: Rosen an der Wand, Stühle in Reih und Glied, obendrein Rauchverbot, damals ganz neu. Im hellblauen Abendkleid schwelgt am Piano ein(e) Verehrer(in) von Divine mit dem Kopf von Cure-Sänger Robert Smith auf einem Körper von Divineschen Ausmaßen in queerer Matrosenromantik.
Antony heißt die Person, Performance-Künstler(in) aus der New Yorker Off-Szene, sagt man. Bald setzt sie eine gruppendynamische Übung an. Wir sollen vor uns hin murmeln, was wir lieben. Hm. Inzwischen füllt diese "Transgender-Person" (Antony über Antony) den Großen Saal der Alten Oper in Frankfurt. Kein Raum für Pop, nur Kraftwerk und die Pet Shop Boys konnten hier bislang der Schwerkraft des Feierlichen trotzen.
Und Antony, ist er angekommen, wo er schon immer hinwollte? Im Opernhaus? Eben noch marginale Queen der Subkulturen, jetzt Konsens des Monats. Ohne Zwischenstopp aus dem sexuell andersdenkenden Untergrund in die Hochkultur. Plötzlich interessieren sich nicht mehr nur Angehörige seiner sexualpolitischen Peergroup für Antony, Transgender-Menschen & queer Folks. Nun kommt tout Frankfurt und Umgebung. Aus der Wetterau der Schriftsteller Andreas Maier, seinen promoträchtigen Vollbart hat er entfernt. Aus Offenbach Maiers Kollege Frank Witzel. Auf Heimaturlaub Kiwi-Autor Imran Ayata. Den langen Weg aus Berlin - dort hat Antony den Admiralspalast ausverkauft und sie kamen nicht mehr rein - haben Maybritt Illner und René Obermann auf sich genommen, die von der ZDF-Talkshow und der von der Deutschen Telekom, große Fans, heißt es. Antony, whats going on? Wie kriegt die dekorativ scheue Trans-Diva so einen Gala-verdächtigen Publikumsmix hin?
Auf die klassische Tour, das stellt sich heraus, und es ist ja auch keine Überraschung. Wo Rufus Wainwright, einer der vielen Antony-Duett-Partner, vor einem Jahr an selber Stelle, aber auf kleinerer Bühne eine extrovertiert-flamboyante Performance der losen Enden gab und damit ein paar hundert glückliche Leichtsinnige in die Nacht entließ, da entscheidet sich Antony für die seriöse Schubert-Liederabend-Variante. Zu den Streichern poltern Bass, Schlagzeug, während Antony in einer Art Lumpenkaftan am Grand Piano sitzt. Das Bühnenbild gemahnt an Van Goghsche Magnetfelder, im Zentrum eine Mücke, sagen die einen. Die andern sehen eine Spinne. Niemand sagt Anus, dabei sieht es wirklich so aus. Das Licht bleibt dezent.
Antony schweigt zwischen den Liedern, die er singt wie der mitteljunge Gott, für den sie alle gekommen sind. Wenn er nicht schweigt, lässt er ein "oh", ein "ah" oder gar ein "okay" in den dunklen Saal fallen und erntet Hingabe. Der Gendertrouble wird vereindeutigt zum Drama des begabten Transgenderkindes. Antony leidet hör- und sichtbar seriös an seinem Symptom, das macht seine Kunst genießbar für heterosexuelle bürgerliche Gourmets und erträglich für Klassikspießer.
Kein Song über achtzig Schläge pro Minute, wenn musikalische Überschreitung, dann nicht etwa in die discoide House-Opulenz seines Teilzeitprojekts Hercules & Love Affair. Stattdessen gehts in Richtung Lou-Reed-Stadion-Rock. Reed war der Türöffner für Antony, mit dem hinreichend expliziten "Fistfull of love" hat der alte Misanthrop den komischen Vogel Antony seiner Gemeinde bekannt gemacht.
Zum Dank lässt dieser den einzigen Rocktransgressionsmoment des Abends, "Fistfull of love", ausufern in ein bolerohaftes "Satellite of Love". Das Publikum verharrt in devoter Wertschätzung. "You are my sister", das Duett mit Boy George vom Album "I am a bird now", wird wohlwissend begrüßt.
Georgie Boy selbst kommt nicht, dabei hätte er die Chose retten können. Mal eben aufgedunsen, derangiert und in vollem Transenwichs die repressive Toleranz der Alten Oper auf die Probe stellen. Solche Pannen sind nicht mehr vorgesehen auf Antonys neuem Level.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch