piwik no script img

Anthologie persischer LyrikSprache in Flammen

Kurt Scharf und Ali Abdollahi legen den zweiten Band ihrer Auswahl zur persischsprachigen Lyrik des 21. Jahrhunderts im Sujet Verlag vor.

Viele iranische Intellektuelle beschäftigt die Frage nach den eigenen nationalen Traditionen Foto: Fayaz Kabli/reuters

Skizzen

Ein Dieb im Dunkeln / Starrt auf ein Gemälde / Dein Kleid flattert im Wind / Dies ist die einzige Fahne die ich liebe / Vergiss das Maschinengewehr / Den Tod / Und denk an das Abenteuer einer Biene / Die inmitten eines Minenfeldes / Auf der Suche nach einem Blütenstängel ist.

Das Buch

Kurt Scharf und Ali Abdollahi (Hg.): „Ein Dieb im Dunkeln starrt auf ein Gemälde“. Aus dem Persischen von Abdollahi/Scharf. Sujet Verlag, 2021. 410 Seiten, 26.80 Euro

Garous Abdolmalekian, 1980 in Teheran geboren, preisgekrönter Dichter, führt in seinem Gedicht „Skizzen“ auf einem Minenfeld beides zusammen, ein tödliches Maschinengewehr und die Abenteuer einer kleinen Biene auf Honigsuche. Eine abstruse Engführung, die zur Heiterkeit einlädt. Währenddessen macht sich ein Dieb daran, in der Kunst geheime Botschaften zu entdecken. Und ein fröhlich flatterndes Kleid ersetzt die Kriegsfahne. Welch funkelnd subversiver Bescheid. Dabei darf man nicht vergessen, die Islamische Republik Iran sieht sich als wehrhafter, hochgerüsteter Staat umgeben von Feinden.

„Ein Dieb im Dunklen starrt auf ein Gemälde“ ist der zweite Band einer Anthologie moderner persischsprachiger Lyrik im Sujet Verlag. Kurt Scharf, von 1973 bis 79 stellvertretender Leiter des Teheraner Goethe-Instituts, und der Dichter und Literaturkritiker Ali Abdollahi sind seine Herausgeber.

1979 war ein tiefer Einschnitt auch für die Lyrik in Iran. Schon vor der Revolution, in der Schah-Zeit, verschwanden kritische Schriftsteller in Gefängnissen. Der Geheimdienst terrorisierte und folterte, wenngleich in wesentlich geringerem Ausmaß als dann die Schergen des Mullah-Regimes. Doch war die Phase vor 1979 auch eine des kulturellen Aufbruchs, auch der Aus­einandersetzung mit westlichen Sichtweisen und Werten.

Alte und neue Werte

Viele Intellektuelle beschäftigte die Frage nach den eigenen nationalen Traditionen und der Übernahme von Neuem. Einfach formuliert: Welches Gepäck wollen wir in die Zukunft mitnehmen? Die Diskussionen erübrigten sich mit der Machtübernahme der fundamentalistischen Kleriker und dem von Ajatollah Chomeini unerbittlich eingeforderten absoluten Wahrheitsanspruch.

Zwischen Kultur und Macht herrscht seither Entfremdung. „Die Sprache, in der ich zu denken pflegte / ist in Flammen aufgegangen. / Kein Gedanke fühlt sich mehr in mir daheim“ schrieb die 1967 geborene, 2009 gestorbene Lyrikerin und Übersetzerin Sharam Sheidai. Viele iranische Künstler und Intellektuelle leben heute im Exil.

„Jeder Geflüchtete spricht in zwei Sprachen / Aber weinen tut er nur in einer / In einer anderen lässt er die Erinnerung Revue passieren.“ So die 1992 geborene Dichterin, Journalistin und Frauenrechtlerin Mariam Meetra.

Interessant ist, dass im heutigen Iran wie auch in den teilweise persischsprachigen Ländern Afghanistan und Tadschi­kis­tan in den letzten Jahrzehnten die Anzahl von Dichterinnen stark zugenommen hat. Vor der Revolution von 1979 waren Autorinnen wie Forugh Farrochsad und Simin Behbahani berühmte Ausnahmeerscheinungen, die Dichtkunst war eine Domäne der Männer.

Lebendige Diaspora

Heute treten viele Autorinnen mit ihren Texten an die Öffentlichkeit, Websites fördern die Vernetzung und unterlaufen die Zensur. Themen wie Trauer und Verlust spiegeln das repressive Klima wider.

Viele der in der Anthologie versammelten Lyriker und Lyrikerinnen haben Iran verlassen. Im Exil in aller Welt gründen sie Verlage, arbeiten für Zeitschriften, lehren an Universitäten und widmen sich weiterhin – oft zweisprachig – der Dichtung. Es ist eine lebendige Diaspora, die den Vers von Forugh Farrochsad „Ein toter Vogel lehrte mich, das Fliegen im Gedächtnis zu behalten“ beherzigt. Lyrik hatte in der älteren Geschichte Irans eine besondere Stellung. Man denke an die bis heute andauernde Verehrung (und mitunter nationalistische Verklärung) von Sadi, Hafiz, Rumi.

Aber auch an die iranische Moderne und Gedichte von Sohrab Sepehri oder Ahmad Schamlu, die nun in der deutschen Übersetzung kennenzulernen sind. Letztere entstanden im sogenannten Zweiten Goldenen Zeitalter der Lyrik, das mit der Revolution von 1979 endete. Heute reglementiert ein Block von Klerikern öffentliches Handeln und Denken, auch wenn die ideologische Gleichschaltung durch das Aufkommen des Internets durchlässiger geworden ist.

Die vielen Romane, Erzählungen und auch Gedichte, die in Iran aktuell geschrieben werden, sprechen vom anhaltenden Bedürfnis nach Spiegelung, nach kultureller Erklärung und Umschreibung der gesellschaftlichen Zustände.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!