Anonymität im Netz: Sein, wer man will
Online kann sich jeder die Identität schaffen, die er haben möchte. Das macht nicht nur chinesischen Behörden Angst, auch in Deutschland gibt es Pläne, die Anonymität im Netz zu beschränken.
I m Internet weiß niemand, dass Du ein Hund bist." So hieß es 1993 in einem berühmten Cartoon der Zeitschrift New Yorker. Das Witzlein umschrieb eine Eigenschaft des weltweiten Datennetzes, die auch heute noch vielen Nutzern als wertvoll gilt: Online kann man zunächst sein, wer man will, ohne sich mit den Beschränkungen des "real life" abfinden zu müssen. Das kann der Teenager sein, der schwul ist, aber noch nicht bereit, es seinen Eltern mitzuteilen - oder der Sprachbehinderte, der im Netz mittels Textkommunikation endlich eine gleichgestellte Stimme findet.
Geht es nach den Bürokraten in China, endet in der größten Internetgemeinschaft der Erde (400 Millionen Menschen) bald all das: Peking will in einigen Jahren keine anonyme Netznutzung mehr erlauben, so dass jeder Bürger stets identifiziert werden kann, auch wenn er Negatives über den Staat schreibt.
Was die Chinesen in ihrem restriktiven Netz planen, ist allerdings auch bei uns ein Thema. So werkelt die Deutsche Post aktuell am sogenannten E-Post-Brief, der "rechtssicher wie ein Einschreiben" sein soll, während die Bundesregierung mit "De-Mail" ein ähnlich vernageltes Angebot aufzieht - alles im Sinne der Datensicherheit, versteht sich. Dass Hardliner wie Innenminister Thomas de Maizière längst einen "Internet-Ausweis" fordern, mit dem jeder Nutzer sich anmelden müsste, um zweifelsfrei identifiziert zu werden, fällt da nicht weit vom Stamm.
Natürlich: Anonymität kann unangenehm sein, erlaubt Pöbeleien - das Netz ist voll von nervigen Trollen. Doch deshalb das Kind à la China mit dem Bade auszuschütten und jede Möglichkeit für Missstände aufdeckende Whistleblower und andere bedrohte Menschen, sich frei zu äußern, zu zerstören, wäre eine völlig überzogene Reaktion. Eine freie, anonyme Meinungsäußerung muss möglich bleiben - auch und insbesondere im Netz. Die Trolle lassen sich notfalls ignorieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben