Anne Will mit falscher Themenwahl: Freitod für die Quote
Mehr Relevanz versprach sich "Anne Will" vom Thema Sterbehilfe und blies eine Sendung zum Gazakrieg ab.
Nein, vom gezielten Eingriff könne keine Rede sein, hieß es gestern bei Will Media, der Firma von ARD-Polittalkerin Anne Will, zu den vielfältigen Erregungen der Blogosphäre seit dem Wochenende. Dort war zu lesen, bei "Anne Will" sei das für vergangenen Sonntag zunächst geplante Sendungsthema zum Krieg in Gaza auf höhere Weisung aus der ARD gekippt worden.
Doch die Wahrheit ist, wie so oft, um einiges simpler - und sagt einiges über journalistische Relevanz und Quote aus: Ja, das Thema Gaza hatte die Redaktion vorbereitet, wie eben immer gleich mehrere mögliche aktuelle Themen für die Sendung parallel vorbereitet und potenzielle Gäste angefragt werden. Doch dann habe man sich eben mit Blick auf den Selbstmord von Ratiopharm-Gründer Adolf Merckle für "Tabu Freitod - wer hat das Recht, Leben zu beenden?" entschieden. Denn das habe "unsere Redaktion in Absprache mit dem NDR", der in der ARD für "Anne Will" zuständig ist, als das Thema ausgemacht, "was die größere Relevanz für die Menschen in unserem Lande" habe, so Will Media gestern zur taz. Da war die für das Gazathema eingeladene palästinensische Professorin Sumaya Farhat-Naser allerdings bereits auf dem für sie komplizierten Weg nach Berlin und konnte leider nicht mehr kontaktiert werden, heißt es auch beim NDR. Die "größere Relevanz" bescherte dem TV-Publikum am Sonntag anstelle von Farhat-Naser also illustre Gäste wie Oswalt Kolle und Militärbischof Walter Mixa - sowie eine Werbeshow des vom Hamburger Justizsenator zum Rechtsaußen-Sterbehelfer mutierten Roger Kusch. Dass da Anlass (Freitod eines gescheiterten, aber gesunden Unternehmers) und die Diskussion (Siechtum in Krankenhäusern und Altersheimen) nicht so recht zueinander passen wollten, macht nichts.
Im Blog zur Sendung jedenfalls schepperts auch so: 289 Reaktionen bis Montagmittag schafft längst nicht jede Ausgabe von "Anne Will". Doch finden sich auch Stimmen, die wohl den Kern der Sache treffen: "Braucht die Sendung irgendwie Aufmerksamkeit? Quote? Oder warum verschreibt man sich so einem skurrilen Potpourri rund um ein dermaßen sensibles Thema?"
Da könnte was dran sein: "Anne Will" muss sich schließlich beweisen, auch weil die künftige Bundesliga-Zusammenfassung am Sonntag weiter auf den TV-Talk schielt. Die Garantie von ARD-Programmdirektor Volker Herres für Wills Sendeplatz bezieht sich jedenfalls ausdrücklich nur aufs "Superwahljahr" 2009.
Doch solcherlei Sünden bestraft der TV-Zuschauer allerdings sofort: Mit 3,46 Millionen ZuschauerInnen war der Marktanteil von "Tabu Freitod" ganz schön mau.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen