Anne Haeming Der Wochenendkrimi: Mit einem grandios spröden Finale geht Kommissar Borowski in Rente – oder nicht
Es ist das Finale der Borowski-Ära – aber das Finale des Finales ist unbekannt. Die letzten sieben Minuten fehlen im Vorab-„Tatort“ für die Presse. Es solle eine Überraschung bleiben, so die Pressestelle. Nur: Wenn ein Kommissar das Sonntagabendkrimi-Universum verlässt, noch dazu nach 22 Jahren und 44 Fällen, ist das ein Ereignis. Und das Wie entscheidend. Wie geht die Redaktion, wie der Film, die Story, die Regie mit der Figur um? Wie wertschätzend ist der Abschied? Man denke an Hanns von Meuffels im Münchner „Polizeiruf 110“, an Conny Mey im hessischen „Tatort“, an Alexander Bukow in Rostock, an das Ende von Martina Bönisch im Dortmunder, Paula Ringelhahn im fränkischen und Julia Grosz neulich im Hamburger „Tatort“.
Sei’s drum, der große Batzen ist ja bekannt. Und dass kein Geringerer als der vielfach ausgezeichnete Lars Kraume („Der Staat gegen Fritz Bauer“) Regie führte bei „Borowski und das Haupt der Medusa“, deutet an: Dieses Finale nahm man wichtig. Die jüngsten Folgen des Kieler Duos seien ja eher „mäh“ gewesen, schrieb mir der Kollege aus der Redaktion. Recht hat er, die taugen nicht, um irgendwas zu vermissen. Die Abschiedsnummer hingegen schon: Dieser letzte Film mit Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) neben Kollegin Mila Sahin (Almila Bağrıaçık) ist schönster „Tatort“-Stoff. Aus guten Gründen:
Weil das Setting stimmt: Noch vier Tage hat Borowski bis zur Rente, er treibt sich lustlos in spröden Reiseunternehmensfilialen rum (inklusive Frieda-Jung-Fata-Morgana, eine nette Reminiszenz), dann im ebenso spröden Bürgerbüro, abgelaufener Reisepass sei Dank. Hat alles starke ABM-Vibes. Drum auch kein Wunder, dass er sich mitten im Passbeantragungsprozess auf ein altes Foto stürzt, das am verwaisten Platz eines Sachbearbeiters hängt.
Er kennt das Haus darauf, die anderen im Büro erzählen ein paar Seltsamkeiten, also macht Borowski, was Borowski halt so macht: Er fährt hin. Schaut nach. Und findet ein leeres Alte-Mutter-erwachsener-Sohn-Zuhause. Ob er die Rente erlebt: keine Ahnung, siehe oben.
Weil der Bösewicht wirklich hervorragend ist: August Diehl spielt Robert Frost, jenen zerknitterten IT-Frickler von Sohn, grandios schurkig. Der seine ausgesuchten Opfer, alles Frauen, planvoll umbringt wie Perseus Medusa: ohne ihnen dabei ins Gesicht zu schauen. Kein Geheimnis übrigens, das Publikum ist von Anfang an dabei. Schon im Davor, also vor der ersten Tat, in punktgenau eingerichteter Kulisse, jenem konservierten leeren Haus.
Weil Sahin und Borowski noch mal eingespielt augenrollend miteinander auftreten können.
Auch weil: Sascha Arango hat das Drehbuch geschrieben – jener Autor, der schon Kai Korthals erfunden hat, den ewigen Bösen in Borowskis Ermittlerleben, eine jener Figuren, die in der TV-Krimi-Geschichte überdauern. Kann mit Frost auch passieren, dank Diehls Spiel.
Mag sein, dass die kommenden Fälle dieses Level halten. Denn die nächste Runde ist schon abgedreht, wieder inszeniert von Kraume: Der Neubeginn mit Sahin – neu befördert zur Kriminalrätin, gut, dass Bağrıaçık an Bord bleibt – bekommt eine Doppelfolge: mit Lilith Stangenberg als neuer Kollegin und Karoline Schuch als Polizeipsychologin. Dauert aber noch. Ist wohl erst 2026 zu sehen. So lange also nix aus Kiel.
NDR-„Tatort“: „Borowski und das Haupt der Medusa“, So., 20.15 Uhr, ARD
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