Annan fordert Aufklärung in Kenia: Ministern droht Anklage in Den Haag
Kofi Annan fordert in Kenia die versprochene Aufklärung der Massaker von vor zwei Jahren. Doch das könnte hochrangige Minister der Regierung auf die Anklagebank bringen.
NAIROBI taz | Sensationell klingt sie eigentlich nicht, die jüngste Stellungnahme von Kenias Justizminister Mutula Kilonzo zur Aufklärung der blutigen Unruhen, die Kenia in den vergangenen Jahren erschüttert haben. "Die Regierung wird niemanden schützen, der vom Internationalen Strafgerichtshof angeklagt wird", so Kilonzo. "Wir haben das Rom-Statut unterschrieben und haben gar keine andere Wahl." Etwas anderes kann ein Justizminister eigentlich nicht sagen.
Doch fast zwei Jahre nach Beginn der Ausschreitungen, bei denen mehr als 1.300 Menschen ums Leben kamen, lösten Kilonzos Worte einen Aufschrei der Empörung innerhalb von Kenias großer Koalition aus. "Kilonzo ist auf einer Vergeltungsmission", behauptet etwa Straßenbauminister Franklin Bett. "Er ist verbittert", wettert William Ole Ntimama, Minister für Kulturerbe. Die Empörung hat vor allem einen Grund: Jene, denen ein Prozess in Den Haag droht, sind Spitzenpolitiker beider politischer Lager.
Pikant ist zudem das Timing von Kilonzos Statement: Am Sonntagabend wurde Kofi Annan in Kenia erwartet, der mit Präsident Mwai Kibaki und seinem einstigen Widersacher und jetzigem Premier Raila Odinga über die schleppende Aufklärung der Massaker sprechen will. Auch der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Luis Moreno Ocampo, will diese Woche Nairobi besuchen. Denn die Rädelsführer der Gewalt sind bis heute nicht belangt worden. Dabei setzte eine von der Regierung ernannte Kommission dem Parlament eine mehrfach verlängerte Frist, ein kenianisches Sondertribunal zur Aufklärung einzurichten. Der Vorsitzende der Kommission, Richter Philip Waki, untermauerte seine Forderung mit einer geheim gehaltenen Liste von Verdächtigen, die andernfalls nach Den Haag weitergeleitet werde. Ende September lief die letzte Frist aus. Am gleichen Tag erklärte Ocampo, die Aufklärung der Gewalt in Kenia werde "ein Vorbild für die ganze Weltgemeinschaft" sein.
Seitdem rätseln die Kenianer wieder, wer aus der politischen Elite des Landes mit einem internationalen Haftbefehl rechnen muss. Gegen mindestens vier Drahtzieher, unter ihnen Minister, lägen bereits ausreichend Beweise vor, berichteten kenianische Sonntagszeitungen. Ermittelt wird angeblich gegen fünfzehn Minister, Abgeordnete, ehemalige Abgeordnete und hochrangige Staatsbeamte. Mitarbeiter des Tribunals hätten bereits Beweise gesammelt, noch während die Unruhen anhielten, hieß es am Sonntag. "Kenias Politiker haben gedacht, es gehe alles so weiter wie bisher", sagt einer der Ermittler, der anonym bleiben will. "Ihnen war nicht klar, dass einige innerhalb der internationalen Gemeinschaft entschieden hatten, ein für alle Mal Schluss mit der Kultur der Straflosigkeit hier zu machen." Keine Seite wird verschont: So liegen Beweise dafür vor, dass der Anführer der damals oppositionellen ODM im Rift Valley offen zur Gewalt gegen andere Ethnien aufrief. "In meiner Heimatstadt dürfen nur Kalenjin und Indier Geschäfte besitzen", brüllte der heutige Minister seinen Anhängern zu. Kurz darauf wurden Bewohner von Eldoret mit Macheten hingerichtet und in ihren Häusern verbrannt. Einem Minister wird vorgeworfen, eine mafiöse Sekte bewaffnet und für Massaker an Oppositionsanhängern bezahlt zu haben. In Kenia überrascht das niemanden: Während die Beweislage neu ist, sind Täter und Taten den Kenianern schon lange bekannt.
Dass sich das Parlament dennoch bis heute nicht auf ein lokales Tribunal geeinigt hat, ist symptomatisch für Kenias Politik. 100 der 210 Abgeordneten sind Minister oder Staatssekretäre, eine Opposition gibt es nicht. "Wir haben Leute an der Regierung, die nichts als den eigenen Vorteil im Blick haben", sagt Mwalimu Mati vom "Bündnis für den Wandel", einem NGO-Zusammenschluss. "Die normalen Menschen sind verzweifelt, während die wenigen Reichen in der Regierung es sich gut gehen lassen." Auch Land- und Verfassungsreform, beide gegenüber Annan zugesagt, kämen deshalb nicht voran.
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