Annabelle Hirsch Air de Paris: Statt gelber Weste blanker Busen. Demo gegen Femizid
Was kostet das Leben einer Frau?“, fragte am vergangenen Samstagnachmittag die französische Schauspielerin Muriel Robin auf dem Pariser Place de la République vor einem kleinen Meer aus über tausend Frauen und einigen Männern, vor Schildern, die sagten „Der Machismus tötet“ oder „Der Mensch ist die einzige Spezies, in der die Männchen die Weibchen töten“, oder „Stoppt das Massaker“. Sie appellierte mit entschlossener Stimme an den Präsidenten Emmanuel Macron und seine Regierung: „Sie hatten von einem nationalen Anliegen gesprochen. Wie sieht es heute aus? Was ist das Leben einer Frau wert? Ich verlange Antworten!“ Robin, klein, blond, um die sechzig, hatte im vergangenen Jahr in einem Fernsehfilm die Rolle der Jacqueline Sauvage eingenommen, dieser Frau, deren Fall Frankreich jahrelang beschäftigt hatte: Nach über vierzig Jahren der Misshandlungen hatte Sauvage ihren Ehemann mit einem Jagdgewehr und drei Schüssen in den Rücken getötet und war zunächst 2012 für Mord verurteilt worden, bis der vorherige Präsident, François Hollande, sie begnadigte. In Frankreich ist sie ein Symbol der häuslichen Gewalt, nicht der weiblichen, sondern der männlichen, dieser stillen, so oft ignoriert und übersehenen Gewalt.
Dass nun ausgerechnet Robin auf der Tribüne steht, hat symbolischen Charakter. Denn an diesem Samstag wird ausnahmsweise einmal nicht in der gelben Weste, sondern im Zweifel eher oben ohne demonstriert: gegen die Gewalt gegen Frauen, gegen den sogenannten Femizid, die Tötung einer Frau durch ihren Mann, Freund, Ex-Mann, Ex-Freund. Seit Anfang dieses Jahres wurden in Frankreich vierundsiebzig Frauen von ihrem Partner ermordet, allein im Juni waren es neun, sie wurden erdrosselt, erstochen, erstickt, erschossen, angefahren. Am vergangenen Wochenende wurde bei Lyon einer 29-jährigen Frau von ihrem Ehemann der Schädel mit einem Hammer eingeschlagen, danach erhängte er sich selbst, die beiden Kinder der Paares waren zum Zeitpunkt der Tat im Haus.
Die meisten Frauen werden dann getötet, wenn sie gehen wollen, meist spricht man in solchen Fällen von einem „Beziehungsdrama“ oder einer „Familientragödie“, in Frankreich hieß es bisher oft, es handle sich um ein „crime passionnel“, eine Straftat aus Leidenschaft, so, als bestünde zwischen heftiger Liebe und Mord ein kausaler Zusammenhang. Dass dem natürlich nicht so ist, dass es wenn überhaupt eine „Straftat aus Besitzanspruch“ ist und somit auf einem ganz primären Machismus fußt und mittlerweile auch als solcher anerkannt wird, beweist der immer häufiger, auch von der französischen Staatssekretärin für Gleichstellung Marlène Schiappa benutzte Begriff des „Femizids“ („féminicide“ auf Französisch).
Während der Demonstration lag er auf allen Lippen und klebte an allen Plakaten: „Stop au féminicide!“ Nur reicht das ja nicht. Einen Begriff gefunden zu haben, der eine brutale Realität benennt, statt sie als „fait divers“ kleinzureden, ist gut, nur müssten jetzt, so fanden das die Feministinnen auf dem Place de la République, konkrete Taten folgen: mehr Geld für die Sicherheit der Frauen, besser geschulte Polizisten, damit diese Frauen, die Klage gegen einen gewalttätigen Mann erheben wollen, nicht einfach nach Hause geschickt werden, mehr Orte und Institutionen, an die sich diese Frauen wenden können, elektronische Armbänder, Sicherheitstelefone. Emmanuel Macron reagierte auf diese Demonstration am Samstagabend mit dem Versprechen, konkrete Aktionen würden eingeleitet werden, Marlène Schiappa kündigte an, man werde ab September über neue Maßnahmen verhandeln. Dass Gewalt keinen Sommerurlaub macht, das haben beide irgendwie vergessen.
Annabelle Hirsch ist freie Autorin in Paris.
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