Anna Kolossova: : Die Katastrophenerfahrene
Anna Kolossova hat die Katastrophe von Tschernobyl hautnah miterlebt. Zwar war sie selbst noch ein kleines Kind, als am 26. April 1986 nur 100 Kilometer entfernt der Reaktor hochging. Gut aber erinnert sie sich noch daran, wie ihre Eltern damals hektisch ihre Taschen packten und von Kiew auf die Krim flüchteten, fort von der Atomstrahlung, die längst von der unsichtbaren zur offenkundig lebensbedrohlichen Gefahr geworden war.
Den 20. Jahrestag der Katastrophe wird Kolossova dieses Jahr auf eine Weise begehen, die sie im Wechsel lachen und den Kopf schütteln lässt: Am Montag sitzt die 25-Jährige auf der Anklagebank im Lüneburger Amtsgericht – beschuldigt, gegen Atomkraft protestiert zu haben.
Zusammen mit anderen Aktivisten der Kampagne x-tausendmal quer hat die junge Ukrainerin in der Nacht des 8. November 2004 in Langendorf mit einer Sitzblockade eine Castor-Transportstraße versperrt. Für Kolossova war der Protest eine Selbstverständlichkeit, für die Justiz dagegen ein Vergehen. Die Staatsanwaltschaft verhängte ein Bußgeld gegen die 25-Jährige, wogegen diese Einspruch eingelegt hat.
Dass der Fall ausgerechnet in der Woche verhandelt wird, in dem sich die Katastrophe von Tschernobyl zum 20. Mal jährt, findet Kolossova einen „harten Brocken“. Also wird sie die Lüneburger Richter am Montag gebührend darüber aufklären, was genau sich damals unweit ihres Heimatortes abgespielt hat. Sie wird von ihrer Mutter berichten, die als Ärztin Strahlenopfer behandelte. Sie wird von dem Geigerzähler erzählen, der in ihrer Wohnung Werte anzeigte, die die zulässige Obergrenze um das tausendfache überstiegen. Die Flucht wird Thema sein, die Panik und nicht zuletzt der Tod der Großmutter, die infolge der Verstrahlung Krebs bekam.
Bei ihren Eltern, erzählt Kolossova, sei das Thema immer noch sehr angstbeladen. Sie selbst geht mit ihren Erlebnissen sehr offensiv um: Sie demonstriert gegen Atomkraft – „und das werde ich auch immer weiter tun“.
1991 kam ihre Familie nach Deutschland. Inzwischen studiert Kolossova in Eberswalde Landschaftsnutzung und Naturschutz. Im nächsten Sommer wird sie für längere Zeit in die Ukraine reisen, um dort im Naturschutz zu arbeiten. Nach Tschernobyl selbst führt sie die Reise nicht. An den Folgen des Reaktorunfalles aber, sagt sie, komme man auch 20 Jahre später nicht vorbei, solange man sich mit offenen Augen im Land bewegt. Sie plant, in der Ukraine für das Thema Ökostrom zu werben, denn das Bewusstsein für alternative Energiequellen sei auch im einstigen Katastrophengebiet noch gering. Für Anna Kolossova gibt es viel zu tun, hier wie dort. EE