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Anna FastabendMidlife MonologeTeddy sucht Utopie – und hält dran fest

Foto: Fo­to:­ Karolina El Lobo

Ich mute mir in letzter Zeit ein bisschen viel zu. Da ist die allgemeine Weltlage, und dann halse ich mir auch noch einen kostspieligen Fitnessstudiovertrag auf. Ich sag nur „Hot Iron“ und fünf Tage Muskelkater, dabei habe ich lächerliche 2,5 Kilo auf jeder Seite der Hantelstange. Körperlich kämpfe ich gerade also, geistig leider auch: Neben dem Krafttraining stehen aktuell nämlich einige Schwergewichte der Kritischen Theorie auf dem Programm, um besser zu verstehen, inwiefern Superreiche beim Rechtsruck mitwirken.

Vielleicht spielt die allgemeine Überforderung auch eine Rolle bei meinem kleinen Ausraster in Wien. Ich fühle mich von A. kritisiert und trete daraufhin dreimal gegen einen Betonpfeiler, und weil das nicht hilft, lauere ich einem Woolrichjacke-tragenden Studenten vor dem Zigarettenautomaten auf. Der Student schenkt mir statt einer gleich zwei seiner Camel Blue, vermutlich sehe ich in meinem abgeschraddelten Teddymantel so aus, als ob ich sie gut gebrauchen könnte, und das tue ich auch. Nichts lässt meine Wut so schnell sich in Luft auflösen wie das gute alte Nikotin. Blöd nur, dass ich eigentlich gerade wieder Nichtraucherin bin.

Am nächsten Morgen haben A. und ich uns dann aber sowieso wieder lieb, wäre also alles gar nicht nötig gewesen. Oder es war gerade wichtig, denn wir müssen uns beziehungstechnisch noch ein bisschen einruckeln. Auch in Sachen Sauna ist das so. A. liebt es, mit vielen anderen nackten Menschen gemeinsam zu schwitzen, ich bin da etwas zurückhaltender. Bei meinem jetzigen Besuch schleppt er mich ins Amalienbad. Es gilt als Paradebeispiel für das Rote Wien und als Wellnesstempel von Stefanie Sargnagel, wie sie in der WOZ schrieb. Für Sargnagel ist das Amalienbad gelebte Utopie. Hier darf man erstens nackt sein, was bei der Errichtung des Bades in den Zwanzigern alles andere als selbstverständlich war. Und sich zweitens für wenig Geld erholen, womit sich erstmals auch Menschen aus dem Ar­bei­ter*­in­nen­mi­lieu einen solchen Luxus leisten konnten.

Das wirkt in Zeiten von prekärer Arbeit und Sozialabbau tatsächlich fast wie ein revolutionärer Akt. Oder könnt ihr euch an viele neu gebaute Stadtbäder erinnern? Ich nicht – stattdessen denke ich an Haushaltskürzungen, aber ich komme ja auch aus Berlin, wo die öffentliche Infrastruktur kaputtgespart und dem Markt zum Fraß vorgeworfen wird. Deshalb feiere ich vermutlich auch das Flucc so, einen Club am Praterstern, der als eines der längsten Zwischennutzungsprojekte in Wien gilt. Er besteht aus einer Vielzahl von Baucontainern, die nach und nach erweitert wurden. Die größte Tanzfläche befindet sich jedoch unter der Straße, in einer ehemaligen Unterführung.

„You are not in Austria anymore“, ruft die Dragqueen und die Menschen um sie herum johlen begeistert

A. und ich entscheiden uns in dieser Nacht aber erst mal für das obere Stockwerk, dort findet die queere Party „Kissen“ statt. Als wir den Raum betreten, läuft gerade eine Dragshow. „You are not in Austria anymore“, ruft die Dragqueen, und spielt damit vermutlich auf die für Österreich drohende blau-schwarze Koalition an, die Menge johlt. Um uns herum queere Menschen jeden Alters. Sie haben sich die Haare abrasiert oder Bärte aufgeklebt, tragen breitschultrige Blazer und kurze Lederröcke und bejubeln nun den einzigen Dragking der Performance, während der sich einen Luftballonpimmel aufbläst. Wir tanzen ausgelassen zu fröhlichen Afrobeats – und plötzlich fragt A.: „Hörst du, was die Frau singt?“ Ich schüttele den Kopf. „W-I-D-E-R-S-T-A-N-D!“

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