„Ankerzentrum“ Bamberg: Können sich Geflüchtete in Deutschland überhaupt noch sicher fühlen?
Die Meldungen über den möglichen Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft und über Abschiebungen sind längst in den Geflüchtetenunterkünften angekommen.
Die Situation im Ankerzentrum Bamberg ist besonders prekär. Allgemein soll das bayerische Anker-Konzept eine schnellere Abwicklung des Asylverfahrens ermöglichen, indem es Geflüchtete und Institutionen wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Bundesagentur für Arbeit, das Jugendamt und weitere Zuständigkeiten an einem Ort zusammenbringt.
Doch trotz dieser zentralisierten Struktur kann das Verfahren von wenigen Wochen bis zu einem Jahr in Anspruch nehmen. Für die Betroffenen bedeutet das nach ihrer Ankunft eine unmittelbare, erneute Unsicherheit – und durch die Umstände vor Ort kann von einem „trauten Heim“ kaum die Rede sein.
Dem Staat aushelfen, weil nichts anderes bleibt
Das Ankerzentrum Bamberg ist überfüllt – mehr als 1.200 Menschen leben zusammen, wo zahlreiche Sprachen und Kulturen aufeinandertreffen. Während der ungewissen Wartezeit haben Geflüchtete kaum Möglichkeiten für eine sinnvolle Beschäftigung. Sprachkurse und Bildungsangebote gibt es nur vereinzelt und das nur auf Eigeninitiative und durch ehrenamtliche Organisationen. Eine davon ist der Verein „Freund statt Fremd e. V.“.
Dieser Text ist Teil des Projekts taz Panterjugend: 26 junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, Nachwuchs-journalist:innen, -illustrator:innen und -fotograf:innen, kommen im Januar 2025 zu digitalen Seminaren zusammen und im Februar zu einer Projektwoche in die taz nach Berlin. Gemeinsam entwickeln sie zur Bundestagswahl Sonderseiten für die taz – ein Projekt der taz Panter Stiftung.
Seit zehn Jahren setzt sich diese für die Integration Geflüchteter ein. Eva Bollerhoff und Simone Oswald, beide im Verein engagiert, erklären: „Wir versuchen, in allen Bereichen zu helfen, in denen wir einen Bedarf sehen – von der Sprachförderung über die Wohnungssuche bis hin zu Beratungen für Frauen. Ohne uns gäbe es für die meisten Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus schlichtweg keine Sprachkurse.“
Was der Staat nicht leisten kann oder will, versucht der Verein durch freiwilliges Engagement zu ermöglichen. Das Ankerzentrum hat dafür eigene Räume zur Verfügung gestellt, in denen „Freund statt fremd e. V.“ für die Geflüchteten ein „Café Willkommen“ betreibt, niederschwellige Sprachkurse anbietet und ein Spielzimmer für Kinder eingerichtet hat – für ein kleines Stück Normalität im tristen Alltag. Die Verunsicherung aber bleibt. „Es sind zu viele Menschen auf engem Raum, alle mit unterschiedlicher Herkunft und Geschichte, aber mit derselben Angst, was mit ihnen passiert“, beschreibt Oswald die Situation im Ankerzentrum.
Denn die politischen Debatten über die Migrationsfrage sind inzwischen im Geflüchtetenheim ein etabliertes Gesprächsthema. „Mittlerweile sprechen uns die Menschen ständig über die kommende Bundestagswahl an und fragen uns: Was wird nach Februar passieren?“, schildert Oswald. Das präge die Menschen und schüre nochmals mehr Angst. Aber auch der Rest der Gesellschaft werde durch die polarisierenden Debatten skeptischer: Der Verein merke, dass die Vermittlung von Jobs oder Möglichkeiten für eine Unterkunft auf dem sowieso angespannten Wohnungsmarkt nochmals erschwert wurde.
Ein Symbol für dieses angestaute Misstrauen ist die im vergangenen Jahr eingeführte Bezahlkarte für Geflüchtete. Sie soll verhindern, dass ein Teil der monatlich zur Verfügung stehenden 460 Euro in die Heimat geschickt wird. Belege, dass diese Bankbewegungen bei den Geflüchteten tatsächlich stattgefunden haben, gab es jedoch nie. Dennoch sind die Betroffenen nun auf eine Bezahlkarte angewiesen, mit der sie nur noch 50 Euro im Monat bar abheben können.
Neben dieser haltlosen Behauptung und der dennoch erfolgten Umsetzung sind vor allem die eingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten problematisch. Viele Tante-Emma-Läden oder Online-Shops akzeptieren die Karte nicht. So wird aus einem günstigeren Kleinanzeigen-Handel oder dem Secondhandladen ein teurerer H&M- oder REWE-Einkauf, für das ohnehin schon knapp bemessene Budget für die Lebensgrundlage eines Geflüchteten.
Der Tauschhandel als Ausweg
Um dem entgegenzuwirken, hat sich im Dezember letzten Jahres in Bamberg eine Initiative gegen die Bezahlkarte gegründet. „Eine geflüchtete Person kann mit ihrer Bezahlkarte einen 50 Euro Gutschein bei Lebensmittelketten wie Lidl oder Rewe kaufen. Diese können Betroffene dann bei uns gegen Bargeld eintauschen“, erklärt Lou M. von der Initiative. Lou kritisiert dabei vor allem, dass neben dem begrenzten Geld auch die Teilhabe an der Gesellschaft weiter eingeschränkt wird. „Kultur gibt es so nicht, kein Kaffee trinken, keine Pizza essen oder sich allgemein mal etwas gönnen“, schildert die ausgebildete Pflegekraft.
Doch die Verbreitung für den Tauschhandel gestaltet sich aufgrund der vielen verschiedenen gesprochenen Sprachen und der allgemeinen Unübersichtlichkeit im Ankerzentrum als schwierig, meint Siwar A., der sich ebenfalls in der Initiative engagiert. Er ist vor fünf Monaten aus Syrien geflohen und versucht seitdem, sich so schnell wie möglich zu integrieren. Dabei fühlt er sich von der Politik alleingelassen: „Die Gesetze ändern sich ständig und man muss immer Angst haben, dass ein Verbrechen geschieht, das uns alle wieder bestraft.“ Auf „Freund statt fremd e. V.“ ist er durch Zufall gestoßen: „Es gibt Sprachkurse in Bamberg, aber die muss man selbst suchen. Im Ankerzentrum wird einem so etwas nicht gesagt“, berichtet Siwar. Vereinzelte ehrenamtliche Organisationen böten zwar Kurse an, die Kapazitäten seien aber begrenzt und man müsse Glück haben, einen Platz zu bekommen.
Zusammengepfercht allein gelassen
Alternativ bietet „Freund statt fremd e. V.“ mehrmals die Woche für drei Stunden ein Sprachcafé in der Innenstadt an. Hier können Geflüchtete einfach vorbeikommen und mit Freiwilligen Deutsch sprechen. Die Frustration über die fehlenden Integrationsmöglichkeiten offenbart sich bei den Betroffenen auch dort als stetiger Begleiter: „Ich dachte, wenn ich wirklich zeige, wie sehr ich mich integrieren und arbeiten möchte, dann wird das geschätzt und ich kann arbeiten gehen“, schildert eine der Geflüchteten. Nun sei man zwar in Deutschland angekommen, aber völlig isoliert und man erfahre nichts über seine neue Heimat. „Man muss ganz viel wollen, um sich zu integrieren, die Hürden sind hoch. Denn wenn man sich von der Stimmung in der überfüllten Unterkunft oder der früheren Heimat anstecken lässt, sieht man nichts von Deutschland, dann bleibt man zu Hause und sieht nur das Ankerzentrum.“
Noch verspricht Deutschland Geflüchteten Schutz und Perspektiven, doch diese sehen seit nunmehr fast zehn Jahren wenig vielversprechend aus. Während in der politischen Debatte momentan nahezu ausschließlich über Abschiebungen gestritten wird, verharren Geflüchtete weiterhin in überfüllten Unterkünften ohne einen Zugang zu Sprachkursen oder dem Arbeitsmarkt – und damit ohne echte Perspektive. Gleichzeitig wächst das Misstrauen in der Gesellschaft in der Migrationsfrage – befeuert durch eine Politik, die durch ein ewiges Hin und Her die Unsicherheit eher verwaltet als löst. Integration beginnt bei den Behörden und sollte eigentlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Doch diese hat nach einem prominenten „Wir schaffen das“ noch nicht einmal ihren Anfang gefunden. Die Entwicklung wirft die Frage auf: Will Deutschland überhaupt, dass sich Geflüchtete hier sicher fühlen?
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