Anja Maier Bauernfrühstück: Die sich um den ganzen Scheiß kümmern
Das ist Thüringen: herbstbunte Wälder, pittoreske Dörfer, herzogliche Schlösslein und Fleischereien mit allerbester Thüringer Bratwurst. Sie sagen hier Röster, aber das ist mir egal. Denn ich darf eine Woche lang keine Röster und auch sonst nichts essen. Nullkommanix. Ich faste. Und ich wandere. Und ich mache Yoga. Ich kümmere mich um meinen Scheiß.
In dieser praktischerweise Fastenwandern genannten Veranstaltung sind wir 18 Menschen zwischen 30 und 80 Jahren. Ein Mensch ist ein Mann, die anderen – nein, ich schreibe nicht: der Rest – Frauen. Wir yogieren, was das Zeug hält, wandern, dass es eine Lust ist, trinken dünnen Tee, der eine Zumutung ist, und abends eine Brühe, die diesen Namen nicht verdient. Abends gehen wir in die Sauna und erzählen uns unsere Leben. Der Mann kommt nicht mit. Das ist aber okay.
Am Ende dieser sieben Tage scheint es mir nicht übertrieben, festzustellen, dass Frauen in diesem Land so viel zu tragen haben, dass viele Männer unter diesen Herausforderungen weinend zur Seite umfallen würden. Oder sich eine Waffe kaufen würden. Gewalt in der Partnerschaft. Psychoterror vom Exfreund. Missbrauch in der Kindheit. Alkoholismus des Vaters. Nachgeburtliche Erkrankungen. Krebs, wiederkehrend. Verstorbene Kinder. Ich könnte diese Aufzählung leicht weiterführen.
Und was machen diese Frauen? Sie reden drüber. Sie sagen, dass sie klarkommen. Dass sie schon dafür sorgen, all das tragen zu können. Deshalb sind sie ja hier beim Fasten. Sie kümmern sich um ihren Scheiß. Damit sie weiter klarkommen mit sich in dieser Welt.
Aber die Welt, die laute, politische, selbstgewisse Welt, kümmert sich immer weniger um den Scheiß dieser Frauen. Kein Wunder, von den 709 Abgeordneten sind 491 Männer. Woher sollen die wissen, was ihre Frauen, Mütter, Töchter so stemmen, wo sie sich doch tagtäglich aufopferungsvoll und lautstark mit der Rettung des Staatswesens befassen müssen. Frauen irgendwie mitdenken, passt schon.
Die Fünftage-vorschau
Do., 18. 10.
Hannah Reuter
Blind mit Kind
Fr., 19. 10.
Peter Weissenburger
Eier
Mo., 22. 10.
Mithu Sanyal
Mithulogie
Di., 23. 10.
Doris Akrap
So nicht
Mi., 24. 10.
Franziska Seyboldt
Psycho
kolumne@taz.de
Während ich also bei 80 Grad in der Sauna liege und zuhöre und lache und heule (ja, wir Luschen haben uns auf nur 80 geeinigt, damit auch die Frau mit dem Blutdruckproblem reinkann), frage ich mich, ob man nicht alle, also wirklich alle Abgeordneten des Bundestages zum Fasten schicken sollte. Die ganze Scheiße einmal raus. Dann wieder klar denken, runterkommen. Nicht essen. Lächeln.
JedeR einzelne Abgeordnete bekäme eine zufällig ausgewählte Frauenfastengruppe zur Seite gestellt. Sie würden gemeinsam Yoga machen, wandern und abends bei nur 80 Grad in die Sauna gehen. Da könnten die PolitikerInnen dann mal reden, zuhören. Sich wundern, wie die sehr geehrte Wählerinnenschaft den Alltag hinkriegt, und zwar leider oft genug trotz ihnen. (Achtung, nicht vergessen, ein Taschentuch für die aufsteigenden Tränen in die Bademanteltasche zu stecken.) Sich um den ganzen Scheiß kümmern. Das wär’s doch.
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