: Angst vor der reißenden Rohstoffkette
Die deutsche Industrie ist besorgt wegen steigender Preise für Öl, Erz und Koks. Auf einem Kongress in Berlin sucht sie deshalb die Öffentlichkeit. Die nutzt auch RAG-Chef Werner Müller – um abermals für eine neue Zeche im Ruhrgebiet zu werben
AUS BERLIN STEPHAN KOSCH
15 Batterien verbraucht ein Westeuropäer pro Jahr, statistisch gesehen. Fünf weniger als ein Nordamerikaner. Aber mehr als zehnmal so viel wie ein Chinese, der im Schnitt nur 1,2 Batterien braucht. Doch das dürfte angesichts des rasanten Wirtschaftswachstums dort nicht so bleiben, meint Jürgen Thumann. Mit dem kleinen Zahlenspiel verwies der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie gestern auf eine große Sorge der Wirtschaft: die steigenden Rohstoffpreise und die Verfügbarkeit an Erzen, Stahl und Rohöl.
„Viele Unternehmen haben mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen“, sagte Thumann auf einem Kongress zur „Rohstoffsicherheit“ in Berlin, mit dem der Industrieverband das Thema in die Öffentlichkeit bringen wollte. Der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie pflichtete bei. Zwar sei es, anders als in Japan, in Deutschland noch nicht zu Produktionsausfällen wegen knapper Rohstoffe gekommen. Aber: „Die Gefahr, dass die Kette reißt, ist immer noch groß.“ Der Preis für Aluminium sei im vergangenen Jahr um zehn Prozent gestiegen, für Kupfer um 15 Prozent und für Stahl um bis zu 60 Prozent. Auch dieses Jahr bleibe die Lage „angespannt“.
Grund für diese Entwicklung ist nach Angaben der Industrievertreter der wachsende Rohstoffhunger in China und Indien, aber auch die Konzentration der Anbieter auf wenige Unternehmen. So werde der Eisenerzhandel der Welt von drei großen Gesellschaften beherrscht, die fast drei Viertel des Handelsvolumens auf sich vereinen. Die größte von ihnen habe eine Preiserhöhung der Erzlieferungen nach Europa von 90 Prozent gefordert.
Werner Müller, Chef des Zechenbetreibers RAG, warnte davor, dass zigtausend Arbeitsplätze gefährdet seien. Deshalb sei eine nationale Rohstoff- und Energiestrategie nötig. Und in dieser solle auch die RAG eine Rolle spielen. Denn bei dem derzeitigen Preisniveau von Koks rechne sich auch wieder eine neue Zeche in Deutschland, sagte Müller – und brachte so erneut das von ihm verfolgte Projekt in der Nähe des nordrhein-westfälischen Hamm ins Spiel. 300 US-Dollar koste Koks derzeit auf dem Spotmarkt. Eine neue Zeche auf der grünen Wiese, so Müller, könnte auch inklusive der Kosten für die Veredelung der Kohle in der Kokerei billiger fördern und „staatsfrei laufen“.
Doch an einem subventionsfreien Betrieb darf gezweifelt werden. Denn der von Müller genannte Spotmarkt, über den kurzfristig Koks gekauft werden kann, decke nur fünf bis zehn Prozent des Weltmarktes ab, sagte Wolfgang Ritschel der taz. Er ist Geschäftsführer des Vereins der Kohleimporteure. Das generelle Preisniveau liege derzeit bei 150 bis 160 Euro pro Tonne und damit weit unter den Kosten in Deutschland, wo die Produktion etwa 230 Euro koste.
Die Preise im vergangenen Jahr hätten sich zwar verdoppelt. Doch dies gelte nicht langfristig. Die Produzenten in USA, Russland, China und Australien stellten sich auf die erhöhte Nachfrage ein und weiteten ihre Produktion aus. Ritschel: „In ein bis zwei Jahren sinken die Preise wieder.“