Angst vor RotGelbGrün?

■ Ziggy Marley and the Melody Makers für nostalgisch Gesinnte im Metropol

Noch immer findet ein Großteil der aufgeklärt-ausgeschlafenen Interessenvertreter in Sachen bundesrepublikanischer Jugendkultur Reggae zum Kotzen. Dahinter verbirgt sich ein sehr deutsches Problem, das auf dem schlechten Gewissen des moderaten Spätbourgois gegenüber seiner Sozialisation via ev. Freizeitheim und Teestube beruht. Zu viele Erinnerungen überlagern die Klänge aus der Karibik: der erste Joint, das erste selbstgebackene Brot, die erste selbstgebatikte Latzhose, der erste selbstgestrickte Pulli; aber auch das erste Mal Nackigbaden im See und die erste große Liebe ..., es ist ein deutsches Problem, das Wiglaf Droste mit unnachgiebiger Härte für alle austrägt. Auf Jamaika und im urbanen Netz der Restwelt interessiert das natürlich keinen Schwarzen.

Das Metropol war am Donnerstag abend für ein paar Stunden rassismusfreie Zone. Altkommunarden im angestaubten Alternativchic mischten sich eher unauffällig unter den Pulk ausländischer Rasta-Beaus und -Bohemiens, die in ihren Cashmeremänteln oder im hippen Denimlook schon optisch ein glänzendes Konzert versprachen. Aber keine Eile, denn Reggae kommt ganz langsam.

Nachdem die Vorgruppe aus Berlin eine halbe lange Stunde bummelzügig ausgegroovt hatte, setzte das unvermeidliche Pausenritual ein, währenddessen eher aufdringlich Lenny Kravitz von CD die Halle beschallte, als überdeutlicher Wink, daß nun MTV-taugliche Musik von jungen, sportiven Musikern für junge, einbildungskräftige Menschen folgen solle. Einige störte der breitgerührte Softrock beim Kiffen in den dunkleren Ecken des Saales. Gekifft wurde dabei weniger in Gruppen als in Pärchenverbindungen, die sich auch für den Rest des Abends aneinanderhielten. Presse und Musikindustrie standen kollektiv-geschäftig am Bierstand. Irgendwann brummte ein tiefer Baßton von der Bühne, der mit einem begeisterten Gekreische beantwortet wurde. Binnen weniger Trommelschläge verwandelte sich das Metropol in ein pumpendes Herz.

Ziggy Marley ist frischgebacken tatsächlich schon so ein Halbgott, wie sein Papa es war. Würde in jeder Bewegung, Größe im Vortrag, Bühnenpräsenz. Der Rest der Familie steht dem Bruder in nichts nach. Denn Ziggy läßt sich neben einer Ausnahmeband, die sich dezent im Hintergrund hält, von seinen Geschwistern begleiten. Alles Marleys, nur mit verschiedenen Müttern: der etwa 15jährige Steppke an seiner Seite, der verschlafen auf den Bongos herumklöppelt, und die mittlere Dame aus dem dreiköpfigen Frauenchor lächeln dem Erstgeborenen verschmitzt zu, wenn sie besonders wild tanzen und damit das Kleinhirn der Zuhörer anreizen. Bald schon wackelt die Menge vergnügt wie ein Pudding. Ausufernd vertreten sich einige Jungfreaks die Füße, andere versuchen sich in ganzheitlichem Körperkreisen.

Bereits mit dem dritten Song geht Ziggy den meisten ans Eingemachte. I shot the Sheriff, im gleichen Gestus wie von Vater Bob gesungen, und später No Woman, No Cry klingen »wie Reinkarnation«. Daher verwundert es kaum, daß in den mittlerweile erstaunlich vergrößerten Pupillen der Anwesenden nahezu mystisch Erinnerungen aufflackern: das Nackigbaden im See war am besten auf Pille. Ziggy macht es noch mal wahr. Andererseits ist der junge Mann kosmopolit und poperfahren, weshalb nur wenige Kiffermythen angerissen werden. Vielmehr spielt die Band eine melodiöse Melange aus HipHop, Dancehall, Lovers Rock und Raggamuffin. Und scheint dabei die Zeit zu vergessen. Denn selbst nach zwei Stunden harter Arbeit will der Clan das Publikum immer noch nicht in den wohlverdienten Schlaf entlassen. Während den Turnschuhaktivisten die Füße aus den Schuhen schwellen und der Rücken der Ausdruckstanztwister vom Kreisen erlahmt ist, kommen die dunkelhäutigen Rastas allmählich in Fahrt. Auch die Stücke ändern sich, Ziggy wechselt vom karibischen Entertainment zu politischen Statements. Er fordert ein »Africa Unite!« ein, das ihm von der black community mit freundlich kreisendem Faustgruß zurückgegeben wird. Gegen Ende leerte sich die Halle — ohne sich zu lichten. Später in der U-Bahn tauchten erst wieder vereinzelt Farbige auf, deren Hautfarbe die Blicke bezechter Ku'dammgänger fing, ohne nach einer Weile dem gebannten Starren auszuweichen ..., denn Schwarze können länger. Harald Fricke