: AnglizismenModernTalkingDead End
Die deutsche Sprache verändert sich so schnell, dass nicht alle Schritt halten. Die Entwicklung zu bremsen, wäre trotzdem keine sehr gute Lösung
Von Klaus Walter
Triggerwarnung: Der folgende Text enthält Begriffe aus dem amerikanischen Englisch! „Im Schlag-Verein treiben Fels- und Schlag-Kapellen Geh-Geh-Mädchen auf den Tanzboden, darunter Zehnalter, Zwanziger und Gruppenies mit grellem Mach-Auf. Sie trinken Milchschüttel und essen heiße Hunde.“ Nein, nicht mal stramm Deutschnationale hätten in den Sixties mit diesen Worten versucht, die Dancefloor Happenings der Rock-Bands im Beat Club von Radio Bremen zu beschreiben, die geschminkten Go-Go-Girls, die Groupies mit Hi Heels und Overknee Boots, die Slop-Hosen und Blue Suede Shoes, die Milkshakes, Hot Dogs und Hamburger („Hämmbörger“). Keine Sprachpolizei konnte verhindern, dass mit neuen Moden, Sounds und Verkehrsformen auch Wörter einwandern und sich breitmachen im Deutschen – unübersetzt.
Nicht wenige (west)deutsche Linke hielten das für Yankee-Kulturimperialismus, skandierten „Ami go home“ oder gleich „USA – SA – SS“. Weniger bornierte Linke hatten kapiert, welchen Beitrag Jazz, Rhythm & Blues, Soul & Hollywood zur Zivilisierung soldatischer Körperpanzer und Entnazifizierung der Gesellschaft leisteten, ohne darüber die Verbrechen des US-Imperialismus zu vergessen. In der Ablehnung angloamerikanischen Pops waren sich viele Deutsche einig – über den Eisernen Vorhang hinweg. Remember Walter Ulbrichts identitätspolitischen Evergreen: „Ist es denn wirklich so, liebe Genossen, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des Je-Je-Je, und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen.“ So begründet der Staatsratsvorsitzende der DDR 1965 in lupenreinem Sächsisch das Verbot westlicher Beatmusik.
Ein Jahr später präsentiert der österreichische Matrosendarsteller Manfred Nidl unter dem angelsächselnden Namen Freddy Quinn mit „Wir“ ein ähnlich gelagertes identitätspolitisches Schlager-Pamphlet wider die kritiklose Übernahme westlicher Habits & Frisuren – hier spricht die schweigende Mehrheit: „Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden? Wir! Wer sorgt sich um den Frieden auf Erden? WIR! Ihr lungert herum in Parks und in Gassen, wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? WIR! WIR! WIR!“
Sechzig Jahre später haben wir vergessen, wie viele Begriffe, die wir routinemäßig benutzen, importiert wurden: Manager, Trainer, Fitness, Jogging, Party, Service, Drink, Soundcheck, you name it. Auch den Quantensprung zum Digitalk made in Silicon Valley haben wir easy hinbekommen. Mit Laptop und Tablet organisieren wir Chats und Meetings über Zoom und Whatsapp, ertragen Shitstorms und No Go’s auf Social Media. Nur harte Boomer demonstrieren kritische Distanz und reden immer noch von „unsozialen Medien“. Oder „asozialen“.
Aber gibt es da nicht doch ein breites Unbehagen – an Angloamerikanismen, auch unter Linken? Und einen Hass auf Modern Talking, der von der rechten Mitte bis rechtsaußen raustrompetet wird, Propagandarhetorik gegen anything woke, gegen alles, was man unter Linksgrünversifftantifa-Verdacht stellen kann?
Ist das Aufkommen immer neuer Angloamerikanismen lesbar als Symptom einer gesellschaftlichen Polarisierung? Vergrößert das aus US-Colleges importierte New Denglisch die Kluft zwischen großstädtischen, (pop)kulturell geschulten, diskursfreudigen, jüngeren Szenen auf der einen Seite (tazleser:innen und -schreiber:innen inbegriffen). Auf der anderen Seite eher ländliche, kleinbürgerlich-spießige Traditionsmilieus, Leute, die sich überfordert und abgehängt fühlen, Zurückgebliebene, die nicht mehr mitkommen (wollen) mit Modern Life & Modern Talking. Wer profitiert politisch von dieser Entwicklung? Die (neue) Rechte, die vor dem „Bevölkerungsaustausch“ warnt, flankiert von einer „sprachlichen Entvolkung Deutschlands“?
Fünf Thesen:
1. Angloamerikanismen adressieren Missstände, die von vielen nicht als solche empfunden werden:
- Motherhood Penalty: Frauen verdienen nach Mutterschaft deutlich weniger.
- Gender Pay Gap: weniger Lohn für Frauen oder gleich: FLINTA (noch so eine sprachmodische Zumutung: Frauen, Lesben, Inter*, Nicht-binäre, Trans* und Agender Personen)
- Care Arbeit: Was sogenannte Hausfrauen schon immer unbezahlt gemacht haben. Verschärfte Variante: Dirty Care. „Die französische Philosophin Elsa Dorlin nutzt den Begriff der dirty care. Bei ihr ist dirty care eine Form von Überlebensschutz, Selbstverteidigung. Ich interessiere mich für das Verhalten von anderen und tue ihnen proaktiv Gutes, damit mir keine Gewalt widerfährt.“ (Katrin Gottschalk und Tania Martini am 8. März 2022 in der taz). Davon wollen meist männliche Konservative bis Reaktionäre nichts wissen.
2. Angloamerikanismen kritisieren Verhaltensweisen, die von vielen nicht als kritikwürdig empfunden werden. Catcalling, Mansplaining, Manspreading, Upskirting. Wer nicht googeln will: Catcalling: sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum. Upskirting lässt sich ins Umstandsdeutsche übersetzen als „den Rock hoch fotografieren“ und soll, ginge es nach Feministinnen und Wokies, wie Catcalling künftig strafbar sein. Siehe auch Body- und Fatshaming.
3. Angloamerikanismen formulieren Ansprüche, von denen meist männliche Konservative bis Reaktionäre nichts wissen wollen:
- Safe Space: diskriminierungsfreie Räume.
- Bottom-up-Kommunikation: Informationen, Meinungen, Vorschläge fließen von den Mitarbeitenden an die Führungsebene, anders als die Top-Down-Kommunikation.
- Work Life Balance meint das Gegenteil von: Arbeit ist das ganze Leben.
4. Mit Angloamerikanismen dringen Dinge in unser Leben ein, von denen meist männliche Konservative bis Reaktionäre nichts wissen wollen.
- Christopher Street Day: beliebte Zielscheibe für junge Rechtsradikale mit Baseballschlägern.
- Veggie Day: Grüne wollen Bratwurst verbieten. Hat nicht geklappt.
- Orange Day: Aktionstag gegen geschlechtsspezifische Gewalt, der am 25. November überschattet wird vom Black Friday, von Black Week(s). Wann kommt der Black Autumn?
5. Organisationen mit woken Zielen tragen angloamerikanische Namen: Amnesty International, Campact, Equal Rights Beyond Borders, Fridays for Future, Foodwatch, Greenpeace. Sammelbegriff: NGOs.
Neudenglische Begriffe stehen also nicht nur für Veränderungen der Sprache, sondern für die Kritik an und den Bruch mit tradierten Normen. Die Standard-Replik auf Modern Talking zielt auf die Konservierung des Bestehenden: „Aber das haben wir schon immer so gemacht.“ Konservative und Rechte reagieren auf die kulturelle Invasion der Angloamerikanismen mit national(istisch) gefärbten Abwehraffekten und ostentativem Unverständnis. Denn sie wollen gar nicht wissen, was sie nicht wollen. Es reicht zu wissen, dass sie es nicht wollen. Sie wollen, was die AfD punktgenau in ihren Slogan gegossen hat: Deutschland, aber normal. Oder, mit dem Sauerteiglover aus dem Sauerland gesprochen, vor dem heimischen Schützenfest: „Ich freue mich darauf, mal wieder unter normalen Menschen zu sein.“ Hier spricht der Kanzler aus dem Bauch, selbstidentisch mit Common Sense – gesunder Menschenverstand, gesundes Volksempfinden. Für Fritz, 70, ist das Schützenfest im Sauerland sein Safe Space, wie der Jahrmarkt Gillamoos, denn: „Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland.“
In Kreuzberg wird ja nicht nur viel Türkisch gesprochen. Geflüchtete können in der Regel besser Englisch als Deutsch, ob sie aus dem Sudan, Syrien oder der Ukraine kommen. Ganz zu schweigen von den bohemistischen Expats in Kreuzberger Bars, wo man auf Englisch bedient wird. Die Sprache ist also gleichermaßen Gegenstand wie Medium von Kulturkämpfen.
Aber wohin soll sie führen, die unstoppable Angloamerikanisierung? Wird sie Gräben weiter vertiefen? Die Gaps zwischen Stadt und Land, Ost und West, oben und unten. Und zwischen diversen Gender? Es ist ja kein Zufall, dass so viele Newspeak-Vokabeln im Ringen um Geschlechter(un)gerechtigkeit zum Einsatz kommen. Und es ist kein Zufall, dass sie in der taz häufiger und selbstverständlicher benutzt werden als in der FAZ oder „Tagesschau“ – damit aber auch tendenziell mehr Leute ausschließen, die sie nicht mehr verstehen (und nicht googeln wollen).
Im Vorgespräch zu diesem Text hat der zuständige Redakteur darauf hingewiesen, dass der exzessive Gebrauch von New Denglisch oft dem Distinktionsgewinn diene. Die Angloamerikanismen hätten etwas durchschaubar Elitäres und markierten auf pubertäre Art eine Gruppenzugehörigkeit. Da ist was dran. Viele Angloamerican Speaker dürften die Übersetzungsmühsal in diesem Text cringe finden, während andere taz-Lesende sich am Denglisch-Overkill stören werden. Ein junger hipper Mensch in Berlin, so der Redakteur, sei nicht mehr fähig, die hier zitierten New Words auf Deutsch zu benennen. Auch das stimmt, klar. Aber, äh, so what? Wäre Denglisch nicht das bessere Deutsch? Sollen Digital Natives darauf warten, dass der Duden „Mannerklärer“, „Mannbreitbeiner“ oder „Katzenrufen“ aufnimmt?
Der Trouble mit den A-Wörtern verweist auf eine kognitive Zwickmühle. Nehmen wir die Zurückgebliebenen. Die sich abgehängt Fühlenden sind am alten Ort, auf dem Land zurückgeblieben, in alten Mindsets. Ja, in der DDR war Englisch nicht die erste Fremdsprache. Sie leiden unter einem Phänomen, für das die deutsche Sprache kein Wort kennt: Brain Drain, die Abwanderung der jungen Gebildeten. Die Leidtragenden des Brain Drain wollen nichts wissen von dem neumodischen Amerikazeug, und diejenigen, die ihnen das Brain-Drain-Syndrom erklären könnten, finden keine Worte, die die Zurückgeblieben bereit wären zu verstehen. Kein Brain Gain in Sicht, smells like Dead End Street.
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