Angela Merkel ist wiedergewählt: "Merkel ist die wahre Medienkanzlerin"

Mit 323 von 612 Stimmen wurde Angela Merkel als Kanzlerin in ihre zweite Amtszeit gewählt. Warum wir sie vielleicht noch viel länger haben werden, erklärt ihr Biograf Gerd Langguth.

"Krisenzeiten sind immer Kanzlerzeiten": CDU-Vorsitzende Angela Merkel bei der Pressekonferenz zum Koalitionsvertrag am vergangenen Samstag. Bild: ap

taz: Herr Langguth, nach elf Jahren Pause regiert wieder Schwarz-Gelb. In Überschriften ist von Angela Kohl die Rede. Erleben wir tatsächlich eine Neuauflage der Kohl-Ära?

Gerd Langguth: Jede Zeit hat ihr eigenes Personal, aber Angela Merkel hat viel von Kohl gelernt. Schwarz-Gelb gibt es jetzt schon in sieben Bundesländern. Diese Kombination wird wieder Normalität - vielleicht länger, als manche wünschen. Merkel hat gute Chancen, insgesamt sechzehn Jahre Kanzlerin zu bleiben.

Wie bitte?

Solche Perspektiven erfreuen Linke sicher nicht. Aber wenn es bei der Schwäche der SPD bleibt - dann kommt die CDU gar nicht darum herum, dass sie die Kanzlerin stellen muss. Merkel hat im Vergleich zu Kohl sogar den Vorteil, dass sie für alle denkbaren Koalitionen gut ist, außer mit der Linkspartei.

Wird ihre Popularität im gegnerischen Lager durch Schwarz-Gelb nicht schwinden?

Dieser Gefahr ist sie sich wohl bewusst. Deshalb hat sie schon am Wahlabend gegengesteuert - mit dem pathetischen Satz, sie bleibe die Kanzlerin aller Deutschen.

Kann das funktionieren?

Sie hat keine Alternative. Eine große Koalition wäre ihr vielleicht lieber gewesen. Wenn man die SPD im Boot hat, kann man leichter harte sozialpolitische Entscheidungen treffen. Aber der Wähler wollte es anders.

Gerd Langguth, Jahrgang 1946, lehrt als Politikwissenschaftler an der Universität Bonn. Er war von 1976 bis 1980 Bundestagsabgeordneter der CDU und auch Mitglied des CDU-Bundesvorstandes und zweier Grundsatzprogrammkommissionen der Union. 2005 veröffentlichte er eine Biografie über Angela Merkel.

Sie hätte auch mit Schwarz-Grün keine Probleme gehabt?

Im Gegenteil. Es hätte ihr großen Spaß gemacht, Künast und Trittin in einem Bundeskabinett zu domestizieren.

Und einen Teil des gegnerischen Lagers einzubinden?

Die Grünen verabschieden sich langsam von festgefügten Lagerbildungen, sie gehören für Merkel doch längst nicht mehr schlechthin zum gegnerischen Lager. Die meisten führenden Grünen, die ich kenne, sind offen für Koalitionen mit der CDU. Sie trauten sich aber nicht, die eigene Parteibasis und Wählerschaft davon zu überzeugen. Hätten die Grünen ähnlich wie Guido Westerwelle vor der Wahl gesagt, sie koalieren mit der CDU und verlassen das Gefängnis mit der aussichtslosen SPD, dann hätten sie zwar einen Teil der Anhänger verloren, dafür hätten dann andere die Sicherheit gehabt, dass ihre Stimme machtpolitisch nicht verloren ist.

Solche Tabubrüche wurden noch nie vor Wahlen angekündigt.

Bei einer Partei, die als Antiparteienpartei angetreten ist, sollte das anders sein. In dieser Hinsicht sind die Grünen längst erstarrt, sozusagen sehr normal.

Mit kaum jemandem traf sich Merkel zuletzt so oft wie mit Gewerkschaftern. Ist sie nach ihren Reformausflügen auch in der Sozialpolitik wieder bei Kohl und seinem Sozialminister Norbert Blüm angekommen?

Sie hat das Trauma des Wahlkampfs 2005, als man sie in die marktradikale Ecke stellte. Und sie denkt daran, dass sie diesmal fast eine Million Stimmen von ehemaligen SPD-Wählern bekommen hat. Aber auch von den Gewerkschaften war es klug, sich schon vor der Wahl mit Merkel einzulassen. Sie haben die Kanzlerin moralisch in die Pflicht genommen.

Wie lange kann Merkel diesen Kurs durchhalten, angesichts klaffender Haushaltslöcher?

Das hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung ab - und von den Landtagswahlen. In Nordrhein-Westfalen wird es nicht selbstverständlich sein, im Mai 2010 eine Bestätigung für Schwarz-Gelb zu erhalten. Da bin ich sehr auf die Wahlaussage der Grünen gespannt.

Läuft Merkel in eine Falle wie einst Gerhard Schröder: Erst wartet sie ab, und mit den nötigen Kürzungen rückt sie dann gefährlich nah an die nächste Bundestagswahl?

Ihre Frage suggeriert, dass sie überhaupt zu einem marktradikalen Kurs zurückwill. Deutschland ist eine Konsensdemokratie, und Merkel will soziale Unruhen vermeiden. Ihre Hoffnung mag sein: Wenn sich erst einmal das Bewusstsein durchgesetzt hat, dass Schwarz-Gelb nicht zu einer Zerrüttung der Sozialsysteme führt, dann wächst vielleicht die Bereitschaft zu Reformen.

Kann man sagen: Kohl hat für die Einheit 1 Billion D-Mark Schulden gemacht, in der Krise legt Merkel jetzt die zweite Billion obendrauf?

Immerhin hat sich Merkel dem Konjunkturpaket als dem größten Verschuldungsprogramm lange widersetzt. Die Krise führt eben zu einer gewaltigen Kreditaufnahme - und macht den Staat bei wichtigen Themen wie der Bildung handlungsunfähig. In einer alternden Gesellschaft wird aber jede Regierung radikal abgewählt, die radikale Einschnitte in der Rentenpolitik macht. Das wissen die Politiker, auch da hat Merkel von Kohl gelernt.

Hat Angela Merkel einen Überzeugungskern, oder ist bei ihr alles nur bloße Strategie und Taktik?

Ohne Wertorientierung ist sie nicht, insbesondere in der Außenpolitik. Sie ist proamerikanisch, proisraelisch, proeuropäisch. Aber sie will auch politisch überleben. Sie will sich durch Spitzenleistungen verwirklichen. Weil sie schon im Elternhaus mitbekommen hat: Wenn du als Pfarrerstochter in der DDR studieren willst, musst du besser sein als alle anderen. Letztlich ist sie eine nichtideologische, pragmatische Problemlöserin. Das macht sie bei besonders Wertkonservativen in ihrer Partei suspekt, bringt ihr aber bei der Mehrheit der Wähler Respekt.

Bei den Koalitionsverhandlungen haben Union und FDP händeringend nach einem gemeinsamen Motto gesucht, nach so etwas wie einem Projekt. Was hätten Sie geraten, wenn Sie gefragt worden wären?

Merkel hat sich mit Oberbegriffen schon immer schwergetan, im Gegensatz zu Kohl ist sie auch keine Geschichtsdeuterin. Ich würde eine Kombination aus mehr Freiheit und mehr Solidarität empfehlen.

Das ist Ihrer Meinung nach kein Widerspruch?

Es war immer der Markenkern von Union, zu sagen: Mehr Freiheit für die Wirtschaft bedeutet mehr Arbeitsplätze, also auch mehr soziale Sicherheit. In Krisenzeiten ist den Wählern die Sicherheit der Arbeitsplätze ohnehin wichtiger als manche sozialpolitische Forderung. Bei der Bundestagswahl haben 9 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder die FDP gewählt. Dafür muss es doch Gründe geben.

Ist die Zeit der Projekte vorbei, nachdem Rot-Grün damit gescheitert ist?

Die Politik muss schon versuchen, eine Richtung vorzugeben. Schröders Problem war ein anderes: Er hatte 1998 eher mit einer großen Koalition gerechnet, auf einmal musste er Rot-Grün als historisches Projekt schönreden.

Auch Schwarz-Gelb wirkt wie eine arithmetische Mehrheit, die aus der Zeit gefallen ist.

Trotzdem sehe ich größere Schnittmengen als damals, vor allem auch im Politikstil. Die Grünen fühlten sich durch Schröder immer schlecht behandelt. Merkel wird mit der FDP pfleglicher umgehen.

Kohl hat immer sehr das Lagerdenken kultiviert. Kehrt es jetzt zurück?

Auch Merkel denkt in Lagern, kultiviert das aber nicht öffentlich. Im Unterschied zu Kohl ist sie eine Medienkanzlerin, viel mehr als Schröder. Sie tritt auch mit solchen Medien in Dialog, die der Union kritisch gegenüberstehen. Da kennt sie keine Berührungsängste.

Merkel regiert mit den Medien gegen die eigene Partei?

Ihre persönlichen Umfragewerte sind jedenfalls bedeutend besser als die der eigenen Partei. Bei Kohl war das umgekehrt. Merkels System funktioniert aber nur so lange, wie die Union ihre Mehrheiten in Ländern trotz bisheriger Verluste hält.

Was passiert, wenn Merkel bei den Medien in Ungnade fällt?

Das wird nicht dauerhaft passieren. Nicht nur die Kanzlerin braucht die Medien, auch die Medien brauchen die Kanzlerin.

Schröder wurde durchaus heruntergeschrieben.

Das stimmt, aber Merkel hat eine andere Offenheit des Dialogs. Sie wird nie Schröders Fehler wiederholen, etwa die Medien mit Flut von Prozessen zu überziehen.

Wenn Merkel lange regiert - wird sie dann diese Offenheit verlieren und sich dem Kohlschen Habitus annähern?

Dass man im Dauerstress immer mehr an Bodenhaftung verliert, ist ein natürlicher Prozess. Noch sehe ich das bei Merkel nicht.

Meist geraten Regierungschefs nach zwei Wahlperioden in die Krise. Kohl ist durch die Wiedervereinigung darüber hinweggekommen. Braucht Frau Merkel auch ein solches Ereignis?

Krisenzeiten sind immer Kanzlerzeiten, insofern hat Merkel bereits von der Finanzkrise sehr profitiert. Wie man sich Kohl sattgesehen hat, so sieht man sich auch irgendwann Frau Merkel satt. Ob Merkel in eine dritte Periode startet, hängt von der Performance der neuen Koalition ab. Auch davon, wie schnell sich die SPD berappelt. Letzteres wird lange dauern. Insofern braucht Merkel vielleicht kein außergewöhnliches Ereignis.

Also doch keine Angela Kohl, zumindest jetzt noch nicht?

Merkel ist ein viel modernerer Typ von Kanzlerin, zudem unideologisch. Helmut Kohl heute noch einmal auf die Bundespolitik zu übertragen wäre wie das Reaktivieren einer fernen Zeit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.