Angela Merkel beim „Brigitte“-Talk: Knapp, prägnant, pointensicher
Endlich mal Bundeskanzlerin privat. Im Gespräch mit einer Frauenzeitschrift lässt Angela Merkel hinter die Politikerinnenfassade blicken. Scheinbar.
BERLIN taz | Das Publikum ist so, wie man es sich bei einer Veranstaltung der Zeitschrift Brigitte vorstellt. Vier Fünftel weiblich, eher blond als grau, gut angezogen, viele um die 40. Auf der Bühne des Berliner Gorki Theaters sitzen drei Damen und plaudern, über das Regieren, Freundschaften, Männer, Kochen. Brigitte Huber, Chefredakteurin, Reporterin Meike Dinklage und in der Mitte Angela Merkel, Bundeskanzlerin.
„Frauen wählen!“ steht auf einem Brigitte-Werbe-Banner an der Seite. Ein verwunderliches Ausrufezeichen, als müsse etwas bewiesen werden. Wenn man den spontanen Szenenapplaus, der Merkel ein Dutzend Mal zuteil wird, recht versteht, dann ist klar, wen dieses Publikum wählt.
„Vor kurzem las ich ein interessantes Zitat von Ihnen, Frau Bundeskanzlerin“. So beginnt das Interview. Wer so fragt, möchte niemand weh tun. Dies ist ein Heimspiel für Merkel. Die Kanzlern darf jeweils zwischen zwei Themen wählen. Reden oder Schweigen, Alltag oder Ausnahemezustand, Steinbrück oder Gott. Merkel redet lieber über Gott.
Manchmal verrät der Anflug eines ironischen Lächelns, dass sie dieses Frage-Antwort-Spiel ein kleines bisschen albern findet. Man erfährt, politisch, nichts Neues. Die Kanzlerin sagt, dass Deutschland gut durch die Krise kommt, dass Europa Wachstum braucht. Europa ist überaltert, wohlstandssatt und für den globalen Wettbewerb mit China schlecht gerüstet. Das ist eine Kernüberzeugung der Kanzlerin.
Lieber was Persönliches
Aber davon wollen die Brigitte-Journalistinnen nicht zu viel wissen. Lieber was Persönliches. Zum Beispiel, ob sich Angela Merkel immer als Kanzlerin fühlt. „Wenn ich im Kochtopf rühre, sag ich nicht: Die Kanzlerin rührt im Kochtopf“, sagt sie mit einem hübschen, ironischen Lächeln. Wo könne die Kanzlerin denn überhaupt schweigen, wollen die Journalistinnen wissen. Die Frage zielt aufs Bedeutsame: die Mächtige, die nie allein sein kann. Merkel schaut kurz und sagt: „Naja, im Büro“.
Ihre Antworten sind knapp, prägant, pointensicher. Versteht sie sich als Feministin? Nein, „das würde die Feminstinnen traurig machen, wenn ich mich auch noch dazu zählen würde“. Das Publikum, man muss es so sagen, liebt sie dafür.
Mit Freunden, sagt die Kanzlerin, ist es manchmal nicht leicht, weil die sie oft als „Auskunftsveranstaltung“ über das Innenleben der Politik gebrauchen. Aber auch dafür hat sie Verständnis. Es gehe ja nicht, wenn ihre Freunde sagen: „Psst, Merkel kommt, jetzt reden wir nicht mehr über Politik.“
Was Angela Merkel nicht mag, sind manche Fotos von ihr. Als sie in Bonn Frauenministerin war, hat eine Fotografin ihre dreckigen Schuhe geknipst. Das ist lange her, aber Merkel erzählt diese Szene mit unverbrauchter Empörungsfrische. Vielleicht weil sie das hinterhältig fand. Und weil es ein Bild von ihr war, das sie nicht kontrollieren konnte. Das bringt sie in Rage.
Federleichte Perfektion
Angela Merkel inszeniert sich als authentische Person, geradeaus, unverbogen, geerdet. Sie spielte diese Rolle lässig, unangestrengt, mit federleichter Perfektion.
Sie ist die mächtigste Politikerin in Europa, auf Augenhöhe mit Obama, Bush, Putin. Aber so, wie sie da sitzt, ist sie immer noch die Pastorentochter aus der Uckermark, die sich amüsiert und mit Distanz das eitle Getriebe der Macht anschaut. Sie ist frei von Machtarroganz. Sie ist frei von der Sucht, bedeutend sein müssen, was in ihrem Job die übliche Berufskrankheit ist.
Am Ende mahnt die Brigitte-Chefredakteurin, dass das Publikum noch sitzen bleiben muss, bis die Kanzlerin den Raum verlassen hat. Aus Sicherheitsgründen. „Nee, Sie müssen nicht sitzen bleiben“, sagt Angela Merkel fröhlich. Sie ist eine von uns. So sollen wir sie sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!