: Angeklagt: Die Richter von Memmingen
■ Bundestagsdebatte zu den Memminger Abtreibungsprozessen / Herbe Kritik am Gericht von Ministerin Süssmuth, Grünen, SPD und FDP / Süssmuth will Änderung der Strafprozeßordnung prüfen
Bonn (dpa) - Scharf kritisiert haben Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth (CDU) und Bundestagsabgeordnete der FDP, der SPD und der Grünen das Vorgehen der Memminger Richter gegen mehr als 150 Frauen, die abgetrieben haben. „Memmingen ist ein bedrückender Zustand“, sagte Ministerin Süssmuth gestern in einer Aktuellen Stunde des Bundestages. Nach Abschluß der Verfahren müsse geprüft werden, ob die Strafprozeßordnung geändert werden müsse. In laufende Verfahren wolle sie sich aber nicht einmischen.
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Uta Würfel sagte, die den Frauen im Memminger Prozeß gegen einen Frauenarzt vorgelegten Fragebögen seien skandalös. Die medizinisch -psychologische Dimension eines Schwangerschaftskonfliktes könne nur der Arzt beurteilen und keinesfalls ein Richter. Was in Memmingen geschehe, sei „eine Anmaßung ohnegleichen“. Der Gesetzgeber habe eine Überprüfung der Notlagenindikation durch Gerichte 1976 nicht gewollt.
Der FDP-Abgeordnete Wolfgang Lüder verwies darauf, daß die Frauen mit dem Fragebogen noch nicht einmal über das Recht der Aussageverweigerung belehrt worden seien. „Wir wissen jetzt, wozu Juristen- und Verwaltungshirne fähig sind“, sagte Lüder. Das müsse bei der Vorbereitung des Beratungsgesetzes zum Paragraphen 218 berücksichtigt werden. Das Beratungsgesetz müsse in allen Bundesländern gelten und in allen Ländern müßten ambulante Schwangerschaftsunterbrechungen möglich sein.
Die Grünen-Abgeordnete Verena Krieger, deren Fraktion die Aktuelle Stunde beantragt hatte, sagte: „Die Methoden, mit denen die (Memminger) Richter und Staatsanwälte vorgehen, erinnern fatal an die Zeit der Hexenverfolgung.“
Die SPD-Abgeordnete Sigrid Skaplis-Sperk erklärte: „Das ungewöhnlich scharfe Vorgehen der bayerischen Justiz in Memmingen, angetrieben durch die bayerische Justizministerin, Frau Berghofer-Weichner, und die Generalstaatsanwaltschaft in München, ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.“ Ihr Fraktionskollege Hans de With forderte, das vor kurzem vom Bundestag einstimmig verabschiedete Opferschutzgesetz zum Maßstab zu nehmen.
Die CDU-Abgeordnete Leni Fischer schloß sich der Kritik von Ministerin Süssmuth an. Die CSU-Abgeordneten Norbert Geis und Gerda Hasselfeldt sowie Herbert Werner (CDU) verteidigten dagegen in ihren Redebeiträgen das Vorgehen des Memminger Gerichts.
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