Andreas Rüttenauer Russia Today: Russisches Melde- gesetz: Bei Freunden übernachten? Schlecht
Das hätten Sie nicht machen dürfen“, die Frau an der Rezeption des Hotels Bulgar in Kasan ist entsetzt. Wie jetzt? „Sie können doch nicht einfach so nach Kasan kommen“, sagt sie dann. Ich hatte mir bei einer Mitfahrzentrale einen Platz für eine Fahrt von Samara hierher organisiert. Einfach so. Dass war offensichtlich falsch.
Ich habe mich während der Fahrt auch gefragt, ob es wirklich eine gute Idee gewesen ist, sich zu Ramsil und seiner Frau ins Auto zu setzen und mich von Samara nach Kasan chauffieren zu lassen. Warum ich nicht noch schnell ein Testament aufgesetzt, ein paar letzte Worte an Frau und Kinder abgeschickt habe. Das fragte ich mich, als der alte Ford mit der geborstenen Windschutzscheibe mit 140 km/h über schlecht befestigte Straßen gerast ist. Ich überlegte mir, ob ich mich mit einem Stoßgebet an Gott wenden sollte, an den ich ja eigentlich schon lange nicht mehr glaube, als Ramsil zum Überholen angesetzt hat, obwohl er ganz gewiss nicht sehen konnte, ob die Gegenspur frei war. Und dann habe ich mir vorgestellt, wie es wohl wäre, stundenlang bei sengender Hitze an einer von diesem Gott, den es ja eigentlich nicht gibt, verlassenen Gegend am Straßenrand zu stehen und auf einen Pannendienst zu warten, nachdem das Auto vom ständigen Eintauchen in die tiefsten Schlaglöcher irgendwann einfach auseinandergefallen war. „Solche Straßen gibt es bei euch nicht“, hat Ramsil gesagt und dabei fast ein bisschen stolz dreingeblickt.
Aber die Rezeptionistin konnte das ja nicht wissen. Sie meinte etwas anderes. „Ich brauche ein Zugticket, einen Flugschein, irgendetwas, wo man Sie registriert hat.“ Ich hatte gedacht, während der WM dürfe man frei im Land herumreisen. Das habe ich ihr auch gesagt. „Aber wir müssen doch wissen, wo Sie sind“, sagte sie und verwies auf ein Gesetz, das vorschreibt, Ausländer, die sich länger als sieben Tage im Land aufhalten, bei den zuständigen Stellen zu melden. Eine Notiz mit Verweis auf dieses Gesetz hatte sie sich an den Bildschirm geklebt. Es war also wichtig für sie zu wissen, woher und auf welche Art ich gekommen bin.
„Warten Sie“, sagt sie dann. „Ich rufe die Hotline an.“ Eine Hotline? „Ja, während der WM können wir bei der Meldestelle anrufen und die Daten abfragen.“ Kurz darauf weiß sie, dass ich vor Kurzem in Wolgograd war, in Rostow am Don und dass man mich auch in Samara ordnungsgemäß gemeldet hatte. Als ich sie frage, was denn sei, wenn man privat unterkomme. In St. Petersburg hätte ich bei Freunden übernachtet. „Bei Freunden? Das ist ganz schlecht“, sagt sie. Nein, war es nicht. Es war sehr schön in St. Petersburg. Aber das sage ich ihr nicht. Am Ende gibt es ein Gesetz, das es verbietet, Besuche bei Freunden schön zu finden.
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