Andreas Hartmann Durch die Nacht: Clubkultur als Softpower in Doha
In letzter Zeit vernehme ich öfters einen schlimmen Verdacht: Kann es sein, dass Berlin gar nicht mehr die Partyhauptstadt der Welt ist? Auch als unhaltbare Gerüchte vom bevorstehenden Ende des Berghain kursierten, wurde über Ermüdungserscheinungen im Clubbetrieb spekuliert. Die Betreiber von Berlins bekanntestem Club hätten langsam die Schnauze voll und seien nach all den Corona-Restriktionen nur noch müde, hieß es da.
Und beim Watergate, das jüngst – bei mäßiger Feierlaune – seinen zwanzigsten Geburtstag feierte, sagte einer der Betreiber mir, auch er glaube nicht, dass Berlin noch der Nabel des internationalen Partygeschehens sei. Obwohl seit diesem Sommer die Schrecken der Pandemie nachgelassen hätten, seien die Clubtouristen nicht in Scharen nach Berlin zurückgekehrt. Das würde nicht nur sein Laden spüren. War es das also mit Berlin und seinem legendären Nachtleben?
Gut, Szenen und Phänomene sind meist vergänglich. Seattle war einmal das Zentrum des Rockgeschehens, Heimat des Grunge und einer gewissen Band namens Nirvana. Inzwischen rockt dort bloß noch Amazon und kein Mensch trägt mehr Flanellhemden. Selbst in München war vor Jahrzehnten mal etwas los, davon wurde etwa Freddie Mercury Zeuge, als der Gefallen an Disco und Koks fand. Kann doch sein, dass der Titel Clubhauptstadt bloß eine vergängliche Leihgabe ist.
Doch an welchem Ort der Welt sollen denn nun mit mehr Hingabe als bei uns die Wochenenden durchgetanzt werden? Paris sei gerade schwer en vogue, habe ich jetzt schon mehrfach vernommen. Aber für ein wildes und vor allem sozial durchmischtes Nachtleben ist die Stadt ja viel zu teuer – auch wenn Berlin hier kräftig aufholt. Lange Zeit galt Kiew als Geheimtipp, aber das hat sich ja nun erst einmal erledigt.
Der Watergate-Mann meinte, Ibiza sei wohl wieder führend bei den Feierexzessen. Gut möglich: die Insel verfügt über Mega-Clubs und gutes Wetter, und man ist dort auch eher bereit, die maßlosen Gagen zu bezahlen, die im gehobenen Segment des DJ-Gewerbes inzwischen Standard sind.
Denn: Die Superstar-DJs, die sich vor der Pandemie in den Berliner Clubs noch gegenseitig die Kopfhörer hinter der DJ-Kanzel weiterreichten, machen sich rarer. Angehörige der DJ-Platinliga wie Richie Hawtin oder Peggy Gou mögen zwar noch hier wohnen, aber auflegen tun sie lieber dort, wo die wirklich dicke Kohle winkt. Gleichzeitig ist in Berlin die Bereitschaft gesunken, jedes Wochenende die großen Namen einfliegen zu lassen (was ja vernünftig ist).
Ein wenig läuft es im Berliner Partybusiness wie beim Fußball. Man steht den Unmäßigkeiten der Branche zunehmend kritisch gegenüber, läuft dabei aber Gefahr, den Anschluss zu verpassen und das Erreichte zu verspielen. Das heißt konkret: Wenn Katar jetzt die Clubkultur als Soft-Power entdeckt, könnte bald Doha zur neuen Partyhauptstadt werden. Zumindest vorstellbar wäre es.
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